Die Reliquienjägerin: Historischer Roman (German Edition)
Soldaten, die ihr plötzlich respektvoll den Weg wiesen. Der Wachmann begleitete sie. Sie passierten ein weiteres unbewachtes Tor und betraten den inneren Burghof. Hier herrschte genau dasselbe Treiben wie in den Straßen der Stadt, hinzu kam ohrenbetäubender Lärm, viel durchdringender als das Geschrei der Menschen und das Kreischen der Raben am Flussufer.
Feiner grauer Staub wirbelte durch die Luft, als hätte sich eine Nebelwand auf den Hradschin gesenkt. Der gesamte Innenhof der Burg war eine einzige Baustelle, auf der gehämmert, geklopft, gesägt und gemeißelt wurde. Staunend sah Rebekka sich um. Was hier in den Himmel wuchs, war tatsächlich eine Kirche, und zwar eine von ungeheuren Ausmaßen. Doch sie entstand nicht auf der nackten Erde, sondern auf den Überresten eines kleinen, älteren Gotteshauses, das an den Stellen langsam abgetragen wurde, wo die neuen Mauern in die Höhe wuchsen. Es war seltsam anzusehen, wie das Neue gleichsam aus dem Alten herausspross. Rebekka hatte gehört, dass der König ein besonders frommer Christ war. Dies war wohl seine Art, seinen Glauben zum Ausdruck zu bringen.
Rebekkas Blick blieb an den Steinmetzen hängen. Es mussten an die hundert Männer sein, die Quader auf Quader setzten, die mit ihren Meißeln dem Stein die rechte Form gaben und den Burghof mit dem metallischen Klang ihrer Hämmer füllten. So laut war es, dass sie zuerst gar nicht hörte, was der Wachmann hinter ihr in recht gutem Deutsch sagte.
Er hob die Stimme und wiederholte seine Worte. »Ich bin Vojtech von Pilsen, Hauptmann der Wache, und erbitte untertänigst Eure Vergebung, edle Dame, für die Umstände, die ich Euch am Tor bereitet habe. Ich konnte ja nicht wissen, dass ihr in königlichem Auftrag unterwegs seid. Ich hoffe …«
Rebekka hob eine Hand und blickte zu ihm hoch. Vojtech von Pilsen war gut einen Kopf größer als sie. Sein Gesicht war leicht gerötet, sodass die perlmuttfarbene Narbe über seiner Lippe noch mehr auffiel. Bisher war Engelbert von der Hardenburg ihr einziger Verbündeter in dieser fremden Stadt. Es konnte nicht schaden, wenn ein weiterer Mann ihr zu Dank verpflichtet war. »Sorgt Euch nicht. Der König wird nichts erfahren.«
Der Wachmann verbeugte sich tief. »Das werde ich Euch nie vergessen. Ihr seid zu gütig.«
Rebekka zog den Brief an Karl hervor und reichte ihn Vojtech. »Dieses Schreiben ist für Seine Majestät. Ich führe noch etwas anderes mit mir, doch das soll ich dem König eigenhändig überreichen.«
Vojtech nickte. »Bitte folgt mir.«
An mehreren Durchgängen und Toren wurden sie erneut kontrolliert. Endlich wurde Rebekka in einen Saal geführt, an dessen Kopfende auf einem Podest aus Marmor der Thron Karls IV. stand. Ein knappes Dutzend Männer, allesamt in wertvolle Gewänder gehüllt, stand in kleinen Gruppen zusammen und unterhielt sich auf Tschechisch. Es waren einige darunter, die vorhin auf ihren Pferden so rücksichtslos durch die Menge geprescht waren.
Vojtech, der Hauptmann der Wache, trat vor, verbeugte sich tief, überreichte einem der Edelmänner den Ring und das Schreiben an König Karl. Dann deutete er auf Rebekka und zog sich nach einer weiteren tiefen Verbeugung zurück.
Sie senkte den Blick, als der Edelmann sie anblickte, genauso, wie der Ordensritter es ihr erklärt hatte.
»Wenn Ihr nach einer kleinen Reise durch die Burg im Thronsaal angekommen seid«, hatte er ihr eingeschärft, »dann blickt niemandem direkt in die Augen, außer, Ihr werdet dazu aufgefordert. Zuerst wird man Euch ignorieren. Sobald der König mein Schreiben gelesen hat, wird er seinen engsten Vertrauten zu Euch schicken. Er ist ein Bischof. Ihr erkennt ihn an seinem weißen Gewand, das mit goldenen Stickereien besetzt ist. Der Bischof wird Euch seine Hand hinhalten. Ihr kniet nieder, küsst den großen roten Siegelring. Dann erlaubt er Euch aufzustehen. Er wird Euch zu Karl führen, der Euch nicht im Thronsaal empfangen wird, sondern in seiner Schreibstube, im Westteil des Palas, im ersten Stock.«
Rebekka hörte ein Räuspern, schreckte auf. Vor ihr stand wie aus dem Boden gewachsen der Bischof, von dem der Ordensritter gesprochen hatte.
Rebekka ließ sich auf die Knie fallen und küsste den Edelstein. Er war kalt wie Eis.
»Erhebt Euch und folgt mir.« Die Stimme des Bischofs klang streng, fast so wie die des Rabbi Isaak, ihres Lehrers, wenn er ärgerlich wurde, weil sie zu ungeduldig war oder noch schlimmer: wenn sie nicht gehorchte.
Mit weiten
Weitere Kostenlose Bücher