Die Reliquienjägerin: Historischer Roman (German Edition)
die sich fast über das gesamte erste Stockwerk erstreckte. Ein großer Holztisch mit acht lederbezogenen Stühlen dominierte den Raum. An den Wänden hingen Teppiche, der Abzug über dem Kamin war mit einem Wappen geschmückt. Die Fenster waren mit kleinen Scheiben aus echtem Glas versehen, die das Tageslicht funkeln ließen. Ein silberner Leuchter stand auf einer Truhe.
»Das ist ja wie in einem Palast«, flüsterte Rebekka.
»Gefällt es dir?« Johann sah stolz aus.
»Ja.« Sie trat ans Fenster und fuhr mit den Fingern über das wellige Glas.
Johann stellte sich neben sie. »Eines Tages werde ich im Stadtrat sitzen, so wie mein Vater heute. Und dann werde ich dafür sorgen, dass niemand den Juden ein Leid zufügt. Ich werde verbieten, erlogene Geschichten über vergiftete Brunnen und geschlachtete Kinder zu erzählen, und ich werde deinen Vater zu meinem Leibarzt machen.«
Rebekka kicherte. »Leibarzt! Das klingt, als wärest du der zukünftige König.«
»Es ist mir ernst«, sagte er.
Sie ergriff seine Hand. »Ich weiß.« Sanft zog sie ihn vom Fenster weg. »Und jetzt zeig mir, wo der Kuchen steht. Ich habe Hunger!«
***
Rebekka drängte sich durch die Menschenmassen. Tränen rannen ihr über die Wangen. Warum nur verabscheute alle Welt die Juden? Warum gab es all diese schrecklichen Geschichten über sie? Rebekka rempelte einen Bauern in Lumpen an, der sie auf Tschechisch beschimpfte, und zwang sich, langsamer zu laufen. Wütend wischte sie die Tränen aus dem Gesicht. Sie hatte niemandem etwas getan, und trotzdem wurde sie von Menschen gehasst, die sie gar nicht kannten. Würden ihre leiblichen Eltern sie überhaupt willkommen heißen? Sie waren Christen und rechneten bestimmt nicht damit, dass ihre Tochter sich in eine jüdische Metze verwandelt hatte, die nichts Besseres zu tun hatte, als bemitleidenswerten Christenmännern den Kopf zu verdrehen. Vielleicht war es besser, sie gar nicht zu suchen.
Rebekka blieb abrupt stehen. Sie war völlig außer Atem, die Leute warfen ihr bereits misstrauische Blicke zu. Bestimmt dachten sie, sie laufe vor etwas davon. Doch dann begriff sie. Es lag nicht an ihrer Eile. Sie war schon in der Josefstadt. Die Menschen in den Gassen hatten ihr Aussehen verändert: Die Frauen trugen ihr Haar unter dem Schleier hochfrisiert, sodass es über die Stirn hinausragte, die Männer hatten hohe Hüte auf. Niemand hier konnte wissen, dass Rebekka eine von ihnen war.
Sie zögerte, dann fasste sie sich ein Herz und trat auf zwei ältere Männer zu. Die unterbrachen sofort ihr Gespräch und mieden ihren Blick.
»Schalom«, sagte Rebekka. »Verzeiht, meine Herren. Obwohl Ihr es mir nicht anseht: Ich bin Jüdin und heiße Rebekka bat Menachem. Ich komme aus Rothenburg ob der Tauber.«
»Schalom, Rebekka bat Menachem«, erwiderte der ältere der beiden Männer. »Ihr habt eine weite Reise hinter Euch.«
»In der Tat. Und ich bange um meine Eltern, die ich in Rothenburg zurücklassen musste. Sie wollten mir folgen. Ihr habt nichts gehört von Juden, die kürzlich aus Rothenburg hergekommen sind?«
Die Männer warfen sich Blicke zu, dann sprach der ältere erneut. »Nein, niemand ist kürzlich hier aus Rothenburg eingetroffen, Rebekka bat Menachem.«
»Ich mache mir Sorgen. Wisst Ihr irgendetwas? Gibt es Neuigkeiten von dort?«
Die Gesichter der beiden verdunkelten sich. Der Ältere schaute Rebekka ernst an. »Wir erhalten im Augenblick nur wenige Nachrichten aus dem Reich, und was wir erfahren, gibt uns kaum Hoffnung. Ist es nicht so, Chaime?« Er sah seinen Begleiter an, der traurig nickte.
»In der Tat, Schmul«, bestätigte er. »Selbst hier in Prag, wo der König uns seit Langem Schutz gewährt, wird uns das Leben schwergemacht. Und jetzt dürfen wir außer Geldgeschäften keinen anderen Beruf mehr ausüben.«
»Sind wir wenigstens hier in Prag sicher?«
»Im Moment ja«, antwortete Schmul. »Der König kann in der eigenen Stadt keine Mordbrennerei dulden, die gegen seine Gesetze verstößt. Er muss die Kontrolle behalten. Außerdem wird Karl nicht die Kuh schlachten, die ihm reichlich und dauerhaft gute Milch gibt.«
Chaime kniff die Augen zusammen. »Wir bezahlen fast die gesamte Krönungsfeier und dürfen nicht einmal daran teilnehmen.«
»Schon gut, mein Freund«, beschwichtigte ihn der Ältere. »Hoffen wir, dass das Geld, das uns beschützt, weiterhin so reichlich fließt.«
Rebekka neigte den Kopf. »Habt vielen Dank. Adonai beschütze Euch und alle Gerechten der
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