Die Reliquienjägerin: Historischer Roman (German Edition)
erfolgreiches Manöver gewesen, das Karl in den Augen seiner Feinde noch mächtiger gemacht und seine treuen Anhänger noch enger an ihn gebunden hatte. Über Monate hinweg hatte Matyas mit seinen zuverlässigsten Leuten die Verschwörer beschattet und jedes Detail des Planes herausgefunden. Auch Frauen waren darunter gewesen. Matyas wusste, wozu Frauen fähig waren. Wer sie unterschätzte, machte sich angreifbar. Die meisten Frauen waren Meisterinnen der Verstellung. Vor allem Hübschlerinnen besaßen Übung darin, Männern alles vorzumachen, was diese glauben wollten. Dank ihrer Hilfe war die Verschwörung aufgeflogen und das Mordkomplott gescheitert. Nur die Drahtzieher waren im Dunkeln geblieben.
Matyas verbeugte sich. »Wie Ihr befehlt, Herr.«
Karl schlug ihm auf die Schulter. »Missversteht uns nicht. Wir sind auf der Hut und wissen Eure Sorge zu schätzen. Können wir noch etwas für Euch tun? Braucht Ihr Geld? Mehr Leute?«
»Habt Dank. Ich bitte Euch nur untertänigst: Gebt gut auf Euch acht.«
»Gott beschützt uns, Matyas.« Karl schmunzelte. »Meint Ihr, das genügt?«
»Herr …«
»Schon gut, schon gut. Geht jetzt. Montfort erwartet Euch, er wird Euch in Eure neuen Aufgaben einweihen.«
Matyas verbeugte sich nochmals und verließ die Schreibstube. Er würde sich Karls Befehl nicht widersetzen, aber er würde ihn auch nicht im Stich lassen, sondern alles tun, um Gefahr von ihm abzuwenden.
D ER UNSICHTBARE F EIND
O KTOBER BIS N OVEMBER 1349/C HESCHWAN 5110
Rebekka öffnete die Augen. Licht sickerte durch die Läden, Schritte trappelten Treppen hinauf und hinunter. Fremde Stimmen riefen einander Worte zu, die sie nicht verstand. Rebekka blickte zum Betthimmel, der sich über ihr spannte. Das Zimmer, in dem sie die Nacht verbracht hatte, war bis vor wenigen Wochen die Schlafkammer von Tassilo Severins jüngster Tochter gewesen, die im Spätsommer geheiratet hatte. Der Stoff, der sich über das hölzerne Gestell spannte, war aus schwerem blauen Samt und mit einer hellen Spitze bestickt. Decken und Kissen dufteten nach Seife. Rebekka erhob sich und öffnete den Fensterladen einen Spaltbreit. Das Haus des Kaufmanns stand unmittelbar am großen Markt. Karren drängten sich vorbei, Händler priesen ihre Ware an. Rebekka kniff die Augen zusammen und entdeckte den Tonwarenhändler, dessen Sohn sie am Vortag zur Kommende des Deutschen Ordens geführt hatte.
Sie berührte mit den Fingern das Holz des Rahmens. Alles kam ihr unwirklich vor, wie in einem Traum. Diese riesige Stadt, die unzähligen Menschen, deren Sprache sie nicht verstand. Gestern hatte der Kaufmann ihr erzählt, dass sich die Straßen bald weiter füllen würden. Noch waren längst nicht alle Menschen eingetroffen, die zur Krönung der neuen Gemahlin des Königs erwartet wurden.
Rebekka dachte an ihre Audienz bei Karl, an Engelbert von der Hardenburg, der so undurchsichtig war wie ein mit Pergament bespanntes Fenster, und an den Auftrag, den sie für den König erledigen sollte. Auch das erschien ihr wie ein Traum.
Sie streckte ihre Glieder. Auf jeden Fall hatte sie seit ihrer Flucht nicht mehr so gut geschlafen, ja sie hatte noch nicht einmal von Mosbach geträumt. Heute durfte sie gehen, wohin sie wollte, der Ordensritter hatte ihr aufgetragen, sich um neue Kleider zu bemühen und erst am nächsten Morgen in die Deutschherrenkommende zu kommen.
Sie trat vom Fenster weg. Keine Frage, sie hatte es gut getroffen. Tassilo Severin schien ein Christ zu sein, der auf äußere Reinheit hielt. Eine Schüssel mit Wasser stand bereit, sie schnupperte daran, es roch frisch. Ein sauberer Lappen lag auf einer Truhe, daneben ein Stück Seife, das nach Rosen duftete. Gründlich tupfte sie sich den Körper mit dem Wasser ab, spülte den Lappen immer wieder aus. Sie genoss die kühle Nässe und die Gänsehaut, die ihr über Arme, Rücken und Beine lief.
Ihre Gewänder lagen bereit, die Magd hatte sie gelüftet und ausgebürstet und zu ihrer großen Freude mit Lavendelwasser besprüht. Sie musste wie eine Tote geschlafen haben, denn sie hatte die Magd weder hereinkommen noch herausgehen hören. Rebekka zog sich an, kämmte sich die Haare und steckte sie zu einem Knoten hoch. Sie hatte wirklich Glück gehabt. Der Hausstand des Tassilo Severin war reinlich und gepflegt, obwohl er Witwer war und seine Töchter bereits alle aus dem Haus waren.
Als sie die Kammer verließ, konnte sie den Riegel lautlos öffnen. Kein Wunder, dass sie niemanden hatte
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