Die Reliquienjägerin: Historischer Roman (German Edition)
übertragen konnte und dass die Muselmanen Meister darin waren, Karten zu fertigen und zu deuten – und dass Landkarten oft wertvoller waren als Gold.
Ein Gewirr an feinen und stärkeren Linien zog sich über das Pergament wie die Adern auf einer Schweineblase. Jetzt erkannte Rebekka auch Details. Flüsse waren markiert, ebenso Höhenzüge, Steilhänge, Höhlen und Furten. Namen waren eingetragen. Einige davon in Rot. Rebekka nahm an, dass die roten Namen Gefahr bedeuteten.
»Was verzeichnet dieser Eintrag hier?« Sie zeigte auf einen Schriftzug in Rot in der Nähe einer Burg, den sie nicht richtig entziffern konnte.
»Ein übler Bursche«, antwortete der Ordensritter. »Er missachtet das Friedensgebot des Königs, und bis jetzt konnten wir ihn nicht fassen. Er hat seine Burg verlassen und lebt in den Wäldern. Immer wieder raubt er Handelszüge aus, und alles, was ihm über den Weg läuft, bringt er um. Egal, ob arm oder reich, Mönch oder Geldsack. Niemanden lässt er am Leben. Es heißt, er habe an die fünfzig Mann unter Waffen, davon zwanzig Berittene.«
»Müssen wir durch sein Gebiet?«
»Es ist der kürzeste Weg. Aber die Männer des Königs sind für alles gerüstet. Seid unbesorgt.« Engelbert von der Hardenburg streckte die Hand aus, Rebekka reichte ihm die Karte. »Wir müssen weiter«, sagte er, rollte das Pergament ein und steckte es wieder in seinen Umhang.
Rebekka blickte nach vorn. Das königliche Banner war nicht mehr zu sehen, die Ritter verbargen mit Umhängen ihre Rüstungen. Sie warf dem Ordensritter einen fragenden Blick zu.
Er verstand. »Ab jetzt ist es besser, wenn niemand weiß, dass wir in königlichem Auftrag unterwegs sind.«
»Was erwartet mich? Was muss ich tun?«, fragte Rebekka. »Wollt Ihr es mir nicht endlich sagen?«
»Alles zu seiner Zeit«, erwiderte der Ordensritter und gab Vila einen Klaps auf die Kruppe.
Die Stute stieg ein wenig, wieherte irritiert.
Na warte , dachte Rebekka. Wenn du glaubst, ich sei dein williges Werkzeug, täuschst du dich!
Sie ließ die Zügel los und schnalzte zweimal mit der Zunge. Vila raste los, in wenigen Augenblicken hatte sie die Spitze des Zuges eingeholt und fegte an den verdutzten Rittern vorbei.
Rebekka stellte sich im Sattel auf, blickte nach hinten und musste beinahe lachen. Die Leibgardisten steckten fest in einem Knäuel aus Pferden, ihr halbherziger Versuch, sie noch aufzuhalten, war kläglich gescheitert. Endlich löste sich ein Reiter, der erstaunlich schnell aufholte. Rebekka wandte sich um, legte ihr Gewicht nach vorn. Vila begriff sofort und zeigte, was in ihr steckte. Mit schier unglaublicher Geschwindigkeit ging es auf der schlammigen Landstraße gen Osten. Selbst enge Kurven nahm sie im gestreckten Galopp. Rebekka legte ihren Kopf an Vilas Hals und überließ es dem Tier, den besten Weg zu finden. Die Straße wurde schmaler, bald war es nur noch ein Pfad, aber Vila dachte nicht daran, langsamer zu werden. Plötzlich teilte sich der Pfad, in der Mitte der Gabelung thronte eine mächtige Eiche. Vila sprang nach rechts, dann wieder nach links, Rebekka krallte sich in ihrer Mähne fest, um nicht herunterzufallen. Hinter dem Baum neigte sich der Weg abwärts, die Stute nahm noch mehr Tempo auf. Nach der Senke ging es wieder bergauf, doch dann verschwand der Weg plötzlich im Unterholz. Zum Glück hatte Vila erkannt, dass es nicht weiterging. Das Tier fiel in einen mäßigen Galopp und blieb schließlich am Waldsaum stehen.
Rebekka atmete tief ein und aus, die Luft schmeckte köstlich. Vila schnaubte zufrieden. Nichts sonst war zu hören, außer ein paar Vögeln, die aufgeregt schimpften.
Doch der Moment währte nicht lange, denn schon donnerten Hufe über den Weg. Es war einer der Ritter der königlichen Leibgarde. Erde spritzte von den Hufen seines Pferdes, als er es zum Stehen brachte.
»Herrin!« Er ritt an ihre Seite. »Geht es Euch gut? Ist der Gaul durchgegangen?«
»Alles bestens. Sagt dem Ordensmann, dass ich ihm nicht mehr zur Verfügung stehe.«
Der Ritter sah sie verständnislos an. Schweißperlen standen auf seiner Stirn. Eine leichte Röte hatte sein scharf geschnittenes Gesicht überzogen. Seine Augen musterten sie durchdringend, aber sie waren nicht hart oder grausam, sondern leuchteten in einem warmen Braun. Die Haare trug er schulterlang, sie waren glatt und golden wie ein Weizenfeld im Abendlicht.
»Wie ist Euer Name?«, fragte Rebekka herablassend.
»Bohumir Hradic, zu Euren Diensten.«
»Und
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