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Die Reliquienjägerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Reliquienjägerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Reliquienjägerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Martin
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draußen waren gedämpfte Laute zu hören. Agnes war bereits aufgestanden.
    Er schloss die Augen. Was hatte er geträumt? Er erinnerte sich nicht. Wie so oft, seit jener Nacht, als Rebekka in den Flammen umgekommen war, hatten Albträume ihn heimgesucht. Albträume, deren schreckliche Bilder in den Morgenstunden verblassten und lediglich eine dumpfe, kalte Angst zurückließen. Johann rieb sich die nasse Stirn. Es war kein Tag vergangen, an dem er nicht an Rebekka hatte denken müssen. Kein Tag, an dem er sich nicht nach Vergeltung gesehnt hatte. Die meisten Bürger Rothenburgs waren glücklich darüber, dass die Juden endlich weg waren. Der Rat hatte Hab und Gut aufgeteilt, wie die Hunde waren sie über alles hergefallen, was irgendeinen Wert besaß. In einem Freudenfeuer hatten sie die Schuldscheine verbrannt. Nur Vater und einige seiner Freunde hatten es abgelehnt, sich an der Leichenfledderei zu beteiligen. Sie würden in Zukunft keinen leichten Stand im Rat haben.
    Was Johann am meisten zu schaffen gemacht hatte, war die Hochzeit gewesen. Agnes hatte wunderschön ausgesehen, aber er hatte sich nicht freuen können über sein Glück. Sie hatte seinen Kummer gespürt und wortlos hingenommen. Sie hatten die Zeremonie hinter sich gebracht, sie hatten gefeiert. Es war getanzt worden, die Gäste hatten reichlich getrunken und gegessen, Agnes und er hatten den Akt vollzogen, er hatte das blutige Laken aus dem Fenster gehängt. Am nächsten Tag hatte Agnes ihn artig gefragt, ob er mit ihr als Gattin zufrieden sei, und er hatte es bestätigt. Sie war eine glänzende Partie, die Mitgift bestand nicht nur aus einem vollständigen Hausstand und zusätzlich einhundert Pfund Silber; viel wichtiger waren die neuen Handelsverbindungen nach Nürnberg, die sie der Familie einbrachte. Zudem war Agnes eine angenehm zurückhaltende und warmherzige Frau. Johann hätte ein rundherum zufriedener junger Mann sein können. Doch über seinem Glück hing der Geruch der verkohlten Leichen der jüdischen Gemeinde wie eine dunkle Wolke.
    Plötzlich blitzten Erinnerungen an seinen Traum auf. Kein Albtraum diesmal, ganz im Gegenteil. Er war weit weg gewesen von Rothenburg, in einer fremden Stadt – und er hatte Rebekka gesehen. Er war ihr hinterhergeeilt, hatte sich einen Weg durch die Menschenmenge gebahnt, doch immer wenn er sie fast berühren konnte, war sie ihm wieder entglitten.
    War es möglich, dass sie noch lebte? Dass sie sich vor dem Feuer hatte in Sicherheit bringen können und geflohen war? Niemand wusste genau, wie viele Menschen in jener Nacht ums Leben gekommen waren. Rabbi Isaak hatte man erschlagen beim Stadttor aufgefunden. Doch die anderen Toten hatte niemand zählen, geschweige denn, identifizieren können.
    Es klopfte, die Tür öffnete sich. Agnes trat ein, lächelte. »Hast du gut geschlafen?«
    Johann schüttelte den Kopf. »Ich habe furchtbare Albträume gehabt.«
    Agnes setzte sich zu ihm, nahm seine Hand. »Du Armer!«
    Sie roch frisch wie ein Frühlingsmorgen, und Johann legte seine andere Hand auf ihren Oberschenkel.
    »Soll ich dir einen Tee aufbrühen?«
    »Nein, bleib hier. Bring mich auf andere Gedanken. Erzähl mir, was es Neues gibt.«
    »Nicht viel.« Sie hob die Schultern. »Die Traudel Henniger hat ein gesundes Mädchen zur Welt gebracht. Und Hermo Mosbach ist aus Nürnberg zurück«, sagte sie.
    »Er war lange fort, über einen Monat. Was hat er die ganze Zeit dort gemacht?«
    »Wenn ich mich recht entsinne, waren es nur zwei Wochen, Johann. Es kommt dir sicherlich nur so lange vor, weil hier inzwischen so viele Dinge vorgefallen …« Sie brach ab.
    Johann strich Agnes eine blonde Locke aus dem Gesicht, dankbar für ihr Verständnis. »Und hat Mosbach Neuigkeiten mitgebracht?«, fragte er rasch.
    »Er hat eine erstaunliche Geschichte erzählt.«
    »Ach, tatsächlich?« Johann pikte ihr mit dem Finger in die Seite.
    Sie quietschte, ließ sich auf ihn fallen und lehnte ihren Kopf an seine Brust. »Angeblich ist er von einem wild gewordenen Weib überfallen worden, irgendwo im Wald auf dem Weg nach Nürnberg, und hat es nur mit Müh und Not überlebt. Und stell dir vor, er hat behauptet, es sei eine jüdische Zauberin gewesen, die ihm sein Gemächt abschneiden wollte. Aber er habe sie vertrieben, indem er die Heilige Jungfrau angerufen habe. Dennoch habe sie ihn schwer verletzt. Was für eine Schauermär! Aber irgendetwas muss geschehen sein. Er trägt einen dicken Verband um den Kopf, den habe ich mit

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