Die Reliquienjägerin: Historischer Roman (German Edition)
mehr friert. Und wer auch nur das Falsche denkt , der bekommt es mit mir zu tun.«
Die Männer lachten leise, kamen aber sofort dem Befehl des Ordensritters nach und wärmten Rebekka mit ihren Leibern.
Zuerst wallte Panik in ihr auf; sie sah plötzlich Mosbach vor sich, der sich an ihr vergehen wollte, spürte seine gierigen Finger auf ihrem Leib. Doch die Männer taten nichts weiter, als sich neben sie zu setzen, nah genug, dass sie ihre Wärme spürte. So beruhigte sie sich allmählich. Und sie hörte auf, mit den Zähnen zu klappern. Nach einer Weile lehnte sie sich nach hinten, spürte den starken Rücken Bohumirs und schlief ein.
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Jacob ben Elias las ihr den Brief vor, und während sie den Worten lauschte, wurde ihr trotz der frühsommerlichen Wärme kalt. Eine Gänsehaut bildete sich auf ihren Armen, und ihr Herz flatterte in ihrer Brust wie ein gefangener Vogel.
Abraham war tot. Das große Sterben, die schreckliche Krankheit, die sich von Süden her langsam durch Europa fraß, hatte ihn dahingerafft, offenbar schon im letzten Herbst, als er sich in Marseille aufgehalten hatte. Die Epidemie hatte Durcheinander und Tumulte in der Stadt ausgelöst, weshalb Abrahams Bruder Isaac in Montpellier erst vor wenigen Tagen von dessen Tod erfahren hatte.
Rebekka fiel es nicht schwer, erschüttert dreinzublicken. Es war, als wären ihre heimlichen Gebete erhört worden, Gebete, für die sie sich nun schämte. Sie hatte den Herrn um Aufschub angefleht, weil sie sich noch nicht bereit fühlte für die Hochzeit, für diesen großen Schritt, der ihr Leben für immer verändern würde. Doch keinesfalls hatte sie Abraham den Tod gewünscht. Er war ein anständiger Mann gewesen und wäre ihr ein guter Gemahl geworden, und er hatte ein solches Schicksal nicht verdient.
Sie saßen um den Tisch, der Geldverleiher, Vater, Mutter und Rebekka. Jacob ben Elias wirkte gefasst, der große grauhaarige Mann schien sich beinahe mehr um Rebekkas Schmerz zu sorgen als um seinen eigenen.
»Es tut mir sehr leid, Kind«, sagte er sanft. »Wenn mein Isaac nicht schon ein Weib hätte, würde ich ihn dir mit Freuden zum Gemahl geben.«
»Macht Euch keine Gedanken um Rebekka. Sie wird es verwinden, sie ist jung«, sagte Rebekkas Vater. »Möge Euch Euer zweiter Sohn Trost sein in dieser schweren Stunde.«
Sobald dies möglich war, ohne jemanden vor den Kopf zu stoßen, zog Rebekka sich in ihre Kammer zurück. Und als sie hörte, wie Vater gemeinsam mit Jacob ben Elias das Haus verließ, schlich sie nach draußen.
Die Ruine der Burg lag wie immer still da. Sie machte sich keinerlei Hoffnung, dass Johann auftauchen könnte. Sie wusste, dass er viel auf dem Land unterwegs war, um auf den Gütern seines Vaters nach dem Rechten zu sehen, doch es war ihr recht so. Sie wollte allein sein. Hinter einem Strauch bei einer eingefallenen Mauer setzte sie sich ins Gras und dachte nach. Sie bat Abraham stumm um Vergebung dafür, dass sie ihn nicht zum Gatten gewollt hatte, dass sie sich gewünscht hatte, die Hochzeit möge nie stattfinden, stellte sich vor, was sie jetzt wohl gerade tun würde, wenn er heil zurückgekehrt wäre. Wieder sah sie die imaginäre Wechselstube in der Judengasse vor sich, dann Abrahams totenstarres Gesicht, das irgendwo in der Fremde langsam zu Staub zerfiel. Ihre Gedanken begannen, sich im Kreis zu drehen, die Augen fielen ihr zu.
»Hier steckst du also.«
Rebekka schreckte hoch.
Johann ließ sich neben ihr im Gras nieder. »Müßiggang mitten am Tag. Schämst du dich nicht?«
»Abraham ist tot. Er ist an der großen Pestilenz gestorben.«
»Mein Gott«, rief Johann. »Das tut mir leid. Bitte verzeih, Rebekka, das war gefühllos von mir.«
Rebekka schüttelte den Kopf. »Das konntest du ja nicht ahnen. Außerdem fühle ich nichts. Außer Scham vielleicht, Scham und Erleichterung.« Sie senkte den Kopf. »Oh Adonai, ich habe mir gewünscht, dass er nicht zurückkehren möge! Ist das nicht furchtbar?«
Johann fasste ihr ans Kinn und hob ihr Gesicht an. »Gott hat gewollt, dass du nicht Abrahams Gemahlin wirst. Er hat es in seiner Weisheit so entschieden, und er wird wissen, warum er es so wollte.«
»Ich weiß nicht …«
»Jedenfalls freue ich mich, dich zu sehen.« Er nahm seine Hand von ihrem Kinn und sah sie an. »Du bist wunderschön, weißt du das?«
»Sag nicht so etwas!«
»Es ist aber wahr.« Er malte mit den Fingern sanft die Konturen ihres Gesichts nach.
»Johann!
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