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Die Reliquienjägerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Reliquienjägerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Reliquienjägerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Martin
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die Sterne zu zählen, wie sie es oft in Rothenburg getan hatte in warmen Sommernächten. Als sie bei einhundertsechsundvierzig angekommen war, schlief sie ein.
    S EPTEMBER 1349/T ISCHRI 5110
    Rebekka setzte sich auf die verfallene Burgmauer, die von der Herbstsonne warm war. »Wie herrlich es hier ist! Ich liebe diesen Ort.«
    »Ich auch.« Johann ließ sich neben ihr nieder. »Doch leider gibt es schlechte Nachrichten.«
    »Was für schlechte Nachrichten?« Erschrocken sah Rebekka ihn an, er sah plötzlich ganz unglücklich aus.
    »Der König weilt zurzeit in Nürnberg, wie du vielleicht weißt«, sagte Johann. »Um über die Aufständischen Gericht zu halten und den alten Rat wieder einzusetzen.«
    Rebekka nickte. Sie hatte davon gehört, dass in Nürnberg Anhänger der Wittelsbacher die Macht an sich gerissen hatten und dem neuen König Karl trotzten, doch sie hatte sich bisher nicht dafür interessiert, es spielte für ihren Alltag keine Rolle, welcher König das Reich regierte.
    »Es scheint so, als benutze Karl das Vermögen der Juden, um die Nürnberger zu kaufen. Und nicht nur die Nürnberger.« Er ballte die Faust. »Heute ist ein Erlass des Königs im Rat verlesen worden, der Rothenburg betrifft. Ab sofort ist die Stadt nicht mehr verpflichtet, die Juden zu schützen. Wie erbärmlich! Erst nimmt der König das jüdische Geld als Gegenleistung dafür, dass sie unter seinem Schutz stehen, und dann nimmt er Geld von den Städten, mit dem diese sich von ihrer Schutzpflicht freikaufen.« Johann fasste sie bei den Armen. »Rebekka, du weißt, was in anderen Städten geschehen ist, seit diese schreckliche Pestilenz wütet. Tausende sind bereits abgeschlachtet worden. Ihr müsst fliehen, solange es noch geht!«
    »Aber …« Rebekka sah ihn verwirrt an.
    »Ich meine es ernst. Es gibt zwar auch vernünftige Männer im Rat, so wie meinen Vater, Oswald Herwagen oder Georg Hochheim. Doch andere haben weniger Skrupel. Im Gegenteil, sie malen sich bereits aus, wie sie die jüdischen Häuser untereinander aufteilen, und reiben sich die Hände, weil sie ihre Schulden nicht zurückzahlen müssen, wenn die Juden vertrieben werden.« Johann seufzte. »Außerdem sind die Flagellanten in der Stadt. Hast du sie gesehen?«
    Rebekka nickte. Auf dem Weg zur Burgruine hatte sie die Männer gesehen, die auf Knien über den Marktplatz rutschten und ihren nackten Oberkörper mit Peitschen malträtierten. Das vom Knallen der Lederriemen durchbrochene laute Beten hallte noch in ihren Ohren nach. »Warum tun sie das?«, fragte sie leise. »Warum schlagen sie sich selbst?«
    »Sie wollen Buße tun für ihre eigenen Sünden und die der gesamten Christenheit. Sie mahnen zur Umkehr von dem, was sie einen gottlosen Lebenswandel nennen, und halten die große Pestilenz für eine Strafe Gottes.«
    »Aber wieso meinst du, dass sie für uns Juden eine Gefahr darstellen?«
    »Sie hetzen das Volk gegen euch auf, weil ihr für sie Ungläubige seid. Und es gibt genug Leute, die ihren wirren Reden Gehör schenken. Die Menschen sind so dumm.«
    »Wir haben doch niemandem etwas getan.«
    Johann senkte den Blick. »Ihr esst ungewöhnliche Speisen, ihr pflegt merkwürdige Rituale. Und vor allem habt ihr einer Menge Leute eine Menge Geld geliehen, und zwar zu erheblichen Zinsen.« Er sah sie an. »Bitte, Rebekka, nimm deine Eltern und flieh!«
    Rebekka schüttelte den Kopf. »Wir können nicht fortgehen, Johann. Wir sind nirgendwo willkommen. Und Rothenburg ist unser Zuhause.«
    »Ich könnte euch verstecken, auf einem der Güter meines Vaters.«
    Rebekka lächelte schwach. »Wie lange würde es dauern, bis jemand das herausfände? Und dann könnte nicht einmal dein Vater uns schützen. Nein, Johann, wir werden nicht fliehen. Es ist nicht das erste Mal, dass wir vertrieben werden sollen, dass man uns nach dem Leben trachtet. Das letzte Mal ist noch gar nicht lang her, gerade einmal zehn Jahre. Doch damals sind wir hier in Rothenburg verschont geblieben. Vielleicht haben wir wieder Glück. Wir werden beten und hoffen, dass Gott auch diesmal seine schützende Hand über uns hält, das ist alles, was wir tun können.«
    Johann wollte etwas erwidern, doch sie ließ ihn nicht zu Wort kommen, sie wollte diese schrecklichen Dinge nicht hören, wollte die wenigen kostbaren Augenblicke mit ihm nicht durch trübe Gedanken vergiften. »Genug der düsteren Prophezeiungen, Johann. Jetzt musst du mir etwas Schönes erzählen.«
    »Ich weiß nicht recht.«
    »Hast du etwa

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