Die Reliquienjägerin: Historischer Roman (German Edition)
Er würde einige der reichsten Nürnberger Händler und Edelleute treffen, Männer, die im Rat der Stadt saßen, um mit ihnen Vereinbarungen über eine Zusammenarbeit mit dem Haus von Wallhausen zu beurkunden. Johann freute sich auf die Verhandlungen. Die Geschäfte, die sein Vater machte, hatten ihn immer sehr interessiert. Vor allem das Rechenwesen faszinierte ihn.
Doch mehr als alles andere fieberte er den Erkundigungen entgegen, die er im Judenviertel vorzunehmen gedachte. Wenn Rebekka es bis nach Nürnberg geschafft hatte, hatte sie bestimmt dort um Hilfe gebeten. Er hoffte von ganzem Herzen, irgendeine Spur von ihr zu finden!
Johann ritt auf direktem Weg zum Haus eines Freundes seines Vaters, bei dem er für die Dauer seines Aufenthalts zu Gast sein würde. Der alte Mann nahm ihn gleich in Beschlag und fragte ihn über das Eheleben aus. Nur mit Mühe konnte sich Johann unter dem Vorwand einer dringenden Erledigung von ihm losmachen. Die Sonne war bereits hinter dem Horizont verschwunden, als er endlich ins Judenviertel aufbrach.
Als die ersten Häuser der Nürnberger Juden in Sicht kamen, hörte Johann lautes Grölen und Beschimpfungen. Er bog um die Ecke und sah, wie einige ältere Männer von einem halben Dutzend junger Burschen beleidigt und mit Dreckklumpen beworfen wurden.
Johann ballte die Faust in der Tasche. Zu gern hätte er den Jungen eine Lektion erteilt, aber er wollte keine Aufmerksamkeit erregen. Damit tat er den Juden keinen Gefallen. Verunsichert blieb er stehen. Die Burschen hatten die Männer in eine Ecke gedrängt, sodass ihnen der Fluchtweg abgeschnitten war. Ihre Beschimpfungen wurden immer unflätiger.
Plötzlich zückte einer der Burschen ein Messer.
Johann blieb vor Schreck das Herz stehen. Er durfte nicht länger tatenlos zusehen, sonst wäre er nicht besser als der Mob in Rothenburg.
Gerade als er sich wütend auf die Kerle stürzen wollte, tauchten Büttel auf und trieben sie auseinander, wenn auch nicht so entschieden, wie Johann es sich gewünscht hätte. Die Burschen trollten sich. Die alten Männer verschwanden rasch in der Synagoge. Johann wartete, bis es wieder still geworden war, dann ging er weiter.
Er fragte sich bis zum Haus des Rabbis durch und klopfte. Ein alter Mann öffnete die Tür. Er trug einen kostbaren Hausmantel, der jeden Ratsherren standesgemäß gekleidet hätte. »Friede sei mit Euch. Was kann ich für Euch tun?«
»Ich suche Rebekka bat Menachem aus Rothenburg.«
Die Miene des Rabbis verfinsterte sich. »Und wer seid Ihr?«
Johann schalt sich stumm für sein unüberlegtes Vorgehen. »Ich bin Johann von Wallhausen und komme in friedlicher Absicht. Rebekka ist eine Freundin von mir, und ich habe Grund zu der Hoffnung, dass sie der Judenhatz in meiner Heimatstadt Rothenburg entfliehen konnte.«
»Woher weiß ich, dass Ihr die Wahrheit sagt?« Der alte Mann kniff misstrauisch die Augen zusammen.
Johann griff in seinen Beutel und wickelte den Stein aus der samtenen Umhüllung. »Diesen Stein habe ich auf das Grab der Juden von Rothenburg gelegt, im Gedenken an meine Freundin Rebekka. Gestern Abend habe ich ihn wiedergeholt, denn ich erhielt Kunde von einem Vorfall, der sich in ebenjener Nacht, in der die Rothenburger Juden ums Leben kamen, auf der Landstraße nach Nürnberg zugetragen haben soll und in den angeblich eine junge jüdische Frau verwickelt war. Nun hege ich Hoffnung, dass es sich bei dieser jungen Frau um Rebekka gehandelt haben könnte.«
Der alte Mann sah ihn lange schweigend an. »Eure Freundin lebt«, sagte er schließlich. »Vor etwa drei Wochen suchte mich ein Büttel in Begleitung eines Mannes aus Rothenburg auf. Die beiden haben nach einer Jüdin namens Rebekka gefragt. Ich konnte ihnen nicht weiterhelfen.«
Johann wurde schwindelig. Rebekka lebte! »Wo ist sie?«
»Das weiß ich nicht. Doch ich habe gehört, dass eine junge Frau aus Rothenburg beim Kaufmann Egmund Langurius zu Gast war und mit ihm nach Prag gereist ist. Die Frau kam ohne Begleitung in Nürnberg an und betrug sich merkwürdig, wenn man der Magd des Langurius glauben darf.«
Johann hätte den alten Mann am liebsten vor Freude in die Arme geschlossen. Er hatte sich nicht getäuscht! Rebekka war nach Prag entkommen! Er atmete tief ein. »Habt Dank, verehrter Rabbi. Ihr nehmt eine große Last von meiner Seele. Gott segne Euch. Schalom.«
»Schalom, mein Sohn. Möge Gott Euch beschützen.«
Die Tür schloss sich.
Johann blieb stehen, betrachtete das verwitterte
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