Die Reliquienjägerin: Historischer Roman (German Edition)
würde, sei es durch Wahl, sei es durch das Los. Doch auch das war inzwischen fast eine Woche her, und erst heute sollte endlich die Entscheidung fallen.
Hiltrud hatte Rebekka versprochen, ihr ein Schauspiel der besonderen Art zu bieten, und sie in die verwaiste Klosterküche geführt. Die Mägde hatten wohl alle woanders zu tun, eine abgedeckte Schüssel Teig verriet jedoch, dass sie bald wiederkehren würden.
Neugierig ließ Rebekka den Blick schweifen. In der Nische befand sich nichts außer einem massiven Holzbrett, an dem lange, würzig duftende Zöpfe aus Zwiebeln und Knoblauch mit eisernen Haken befestigt waren. »Und nun? Was gibt es hier?«
»Du wirst schon sehen!«, wisperte Hiltrud. Ein letztes Mal sah sie sich ängstlich um, dann packte sie das Brett mit beiden Händen und schob es zur Seite. Dahinter wurde eine dunkle Öffnung sichtbar, die etwa den Umfang eines großen Suppenkessels hatte. Hiltrud krabbelte in das Loch und war im nächsten Augenblick verschwunden.
Rebekka starrte ihr ungläubig hinterher. Dort musste ein Durchgang existieren, ein Durchgang, der nicht auf von der Hardenburgs Plan verzeichnet war! Rasch bückte sie sich und steckte den Kopf durch die Öffnung. Nur schemenhaft erkannte sie Hiltrud, die abwartend auf dem Boden kauerte.
»Niemand außer mir kennt diesen Durchgang«, flüsterte sie. »Siehst du die Steine hier am Boden? Sie müssen irgendwann von selbst herausgefallen sein. Eines Tages kam ich hier vorbei und sah den Staub. Beim Putzen ist mir aufgefallen, dass hinter dem Brett ein Loch war. Ich konnte nicht anders und habe noch ein paar Steinchen herausgebrochen, bis der Durchlass so groß war, dass ich mich hindurchzwängen konnte.«
»Was ist auf der anderen Seite?«
»Komm herein! Ich zeige es dir.«
Rebekka zögerte. Sie horchte, doch in der Küche war es noch immer still. Auf allen vieren folgte sie Hiltrud durch die Öffnung und gelangte in einen Gang, in dem sie aufrecht stehen konnte. Hiltrud zog rasch das Brett wieder vor das Loch. Trotzdem konnte Rebekka ihre Freundin noch sehen. Von irgendwoher sickerte schwaches Licht in den Gang, sodass sie nicht völlig im Dunkeln standen. Hiltrud ging los, Rebekka folgte ihr mit klopfendem Herzen. Sie musste an den Tunnel in Rothenburg denken, durch den sie geflohen war. Wie anders hatte sich seither ihr Leben entwickelt, wie sehr hatte sie selbst sich verändert!
Nachdem sie eine Weile wortlos durch den Gang geschlichen waren, blieb Hiltrud stehen und hielt sich den Zeigefinger vor den Mund. Aber Rebekka hätte auch so keinen Mucks von sich gegeben. Sie hörte Stimmen. Hiltrud zeigte auf einen schmalen Schlitz in der Wand. Rebekka presste ihr Gesicht an den kalten Stein und schaute hindurch. Ihr Blick fiel auf den Kapitelsaal, dessen Decke von einem prächtig bemalten Tonnengewölbe getragen wurde. Die ältesten Nonnen, dreiunddreißig an der Zahl, saßen im Kreis zusammen, um aus den fünf Erwählten die Mutter Oberin zu bestimmen.
Eine der Frauen hielt ein Stück Pergament in der Hand und verkündete eben, worauf Rebekka schon so lange gewartet hatte.
»Gott hat in seiner unendlichen Weisheit Schwester Margarete zur Oberin seines Klosters Louka bestimmt. Amen!«
»Amen«, raunten die anderen Schwestern.
Eine der Ordensfrauen, vermutlich Schwester Margarete, stand auf und sagte etwas, das Rebekka nicht verstehen konnte. Danach wurde ihr ein Schlüssel überreicht, mit dem sie eine schwere metallbewehrte Truhe öffnete, aus der sie eine kleine Pergamentrolle hervorzog.
Margarete hielt die Rolle in die Höhe. »Unsere geliebte Mutter Oberin, die unser Herr zu sich berufen hat, hat bis zu ihrem Tod diese Schrift an ihrem Herzen getragen. Nun werde ich es ihr gleichtun. Doch zuvor werde ich sie lesen, denn auf diesem Pergament ist die Kombination eingezeichnet, mit der wir den Schrein des heiligen Wenzel entriegeln können.«
»Die Kombination!«, murmelte Rebekka, ohne daran zu denken, dass Hiltrud neben ihr stand.
»Die Kombination für den Schrein, in dem die Reliquie aufbewahrt wird«, erklärte die Novizin ihr. »Die Regel lautet, dass die Mutter Oberin die Kombination in ihrem Kopf und an ihrem Herzen tragen muss.«
Rebekka nickte gedankenverloren, ohne ihre Augen von der Nonne abzuwenden, die mit gerunzelter Stirn das Pergament studierte. Wenn sie doch nur einen einzigen Blick darauf werfen könnte!
Schwester Margarete drehte sich langsam im Kreis, während sie sich die Kombination einprägte. Die
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