Die Reliquienjägerin: Historischer Roman (German Edition)
übrigen Schwestern hatten die Köpfe gesenkt und die Hände gefaltet. Rebekka hörte leises Murmeln, vermutlich sprachen die Frauen ein Gebet. Die neue Mutter Oberin setzte ihre Drehbewegung fort. Rebekka hielt vor Aufregung die Luft an.
Weiter! Nur noch ein kleines Stück!
Endlich wandte Margarete dem Schlitz in der Wand, hinter dem Rebekka und Hiltrud sich versteckten, den Rücken zu. Da! Die Kombination. Selbst auf diese Entfernung war sie gut zu erkennen. Wie ein Schwamm sog Rebekka das Bild in sich auf. Ihr blieben nur wenige Augenblicke. Schon drehte die Nonne sich weiter, bis sie ihr Gesicht wieder ihren heimlichen Beobachterinnen zugewandt hatte.
Rebekka schloss die Augen und versuchte, sich die Zeichnung ins Gedächtnis zu rufen. Ja! Wie in einem Buch sah sie jede Einzelheit vor sich. Die Position war unglaublich verworren, die Steine mussten mehrfach gegeneinander und übereinander verschoben werden, damit sie die richtige Kombination ergaben.
Margarete zog ein Amulett hervor, das sie um den Hals trug, rollte das Pergament ein, bis die Rolle weniger als einen Finger maß, und verstaute sie dann in dem Anhänger.
Hiltrud griff sie am Arm. »Wir müssen los. Gleich werden uns Glocken zur Messe rufen, um die neue Mutter Oberin zu feiern. Alle werden sich in der Kirche versammeln. Ich darf dabei nicht fehlen.« Sie sah Rebekka an. »Leider kannst du diesen Augenblick nicht mit uns teilen. Ich bringe dich vorher in deine Zelle zurück.«
Wenig später eilten sie durch einen langen Korridor auf den Zellentrakt zu. Die Glocken läuteten bereits, und Hiltrud schwitzte vor Aufregung.
An der Tür verabschiedeten sie sich. Rebekka musste die Tränen zurückhalten, denn nur sie wusste, dass es ein Abschied für immer war. Diese Gelegenheit durfte sie nicht verstreichen lassen. Die Kombination war noch frisch in ihrem Gedächtnis, und alle Schwestern würden in der Kirche sein.
»Danke, Hiltrud«, sagte Rebekka und umarmte sie fest.
»Gern geschehen.« Hiltrud stürmte los.
»Jetzt werde ich auch dich verraten«, wisperte Rebekka, während sie ihr nachsah. Schweren Herzens würde sie darauf verzichten, Hiltrud einen Brief zu hinterlassen. Sie würde verschwinden, wie sie aufgetaucht war: ohne eine Spur.
Wieder überfiel sie diese unendliche Traurigkeit, groß wie ein Meer, in dem sie zu versinken drohte. Alles um sie herum wurde noch dunkler, als es schon war, nichts schien mehr Sinn zu haben. Würde sie nicht besser einfach hierbleiben, ein neues Leben beginnen im Schutz der Klostermauern, so wie es Hiltrud getan hatte? Nein. Ihr Leben wartete woanders auf sie. Sie wusste noch nicht genau, wo das war, aber hier in Znaim war es nicht, das fühlte sie.
Rebekka trat in die Zelle und streifte den Mantel über, den die Schwestern ihr für die Dauer ihres Aufenthalts geborgt hatten. Sie würde ihn nicht zurückgeben können, denn sie würde ihn brauchen, wenn sie sich allein durch den Wald zum Versteck ihrer Verbündeten durchschlug. Wie mochte es Bohumir, Engelbert, Vojtech und den anderen in der Zwischenzeit ergangen sein? Warteten die Männer überhaupt noch auf sie, oder hatte sie es aufgegeben? Oder war ihr Versteck aufgespürt, waren sie von Räubern im Schlaf gemeuchelt worden? Je länger sie im Kloster geblieben war, desto schrecklicher waren die Szenarien gewesen, die sie sich in der Stille ihrer Klosterzelle ausgemalt hatte.
Rasch trat sie zurück auf den Korridor. Bald würde sie es wissen, denn noch heute würde sie wieder bei ihnen sein. Auf dem Gang war alles ruhig. Der Weg zum Kapitelsaal nahm kaum mehr Zeit in Anspruch, als das Schehechejanu dauerte.
Die Tür stand noch offen. Warum sollten die Schwestern auch absperren? Den Tresor mit der Reliquie konnte niemand öffnen, ohne sein Leben aufs Spiel zu setzen. Vorsichtig einen Fuß vor den anderen setzend trat Rebekka ein. Kerzen spendeten ein gelbliches Licht, die Gitterstäbe und die neun Steine an der gegenüberliegenden Wand schimmerten matt.
Rebekkas Puls beschleunigte sich. Und wenn sie sich nicht richtig erinnerte? Wie würde der Tod dann über sie kommen? Schnell und schmerzlos? Oder würde das Gift sie langsam und qualvoll umbringen?
Sie trat einen Schritt vor und schloss die Augen. Sofort sah sie den Plan vor sich, den Margarete hochgehalten hatte. Rebekka schlug die Augen wieder auf. Zuerst der mittlere. Sie schob ihn nach unten, um Platz zu machen für den ersten von links, oder war es der zweite?
Sie hielt inne. Irgendetwas
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