Die Reliquienjägerin: Historischer Roman (German Edition)
verfluchte Ordensritter war ein Fuchs. Er hatte nicht nur die Metze ins Kloster geschleust, sondern zugleich dafür gesorgt, dass niemand sie so einfach da herausholen konnte.
Seit zwei Wochen wartete Kylion darauf, dass die Aufregung sich legte. Jetzt endlich tat sich etwas, die zusätzlichen Wachen wurden abgezogen. In die Stadt kehrte langsam wieder Normalität ein. Jedenfalls hatte die Metze das Kloster bisher nicht wieder verlassen. Der plötzliche Tod der Mutter Oberin hatte ihr wohl einen Strich durch die Rechnung gemacht. Umso besser. Inzwischen war Kylion mit allen Besonderheiten der Umgebung vertraut. Das Miststück würde ihm nicht noch einmal durch die Lappen gehen.
Engelbert von der Hardenburg würde ihm jedenfalls nicht in die Quere kommen. Denn der hatte einen langen Weg aus den Wäldern in die Stadt. Wenn etwas geschah, würde es mindestens drei Dutzend Vaterunser dauern, bis er davon erfuhr, und ebenso lang, bis er am Ort des Geschehens eintraf.
Kylion grinste und blickte in die gurgelnde Thaya unter ihm. Er hatte sich in der Stadt einquartiert, hatte sich als harmloser Kaufmann ausgegeben und war inzwischen von den Einheimischen akzeptiert. Seine Männer waren über die ganze Stadt verteilt, ein paar hatten sich sogar der Bürgerwehr angeschlossen. So waren sie immer auf dem neuesten Stand.
»Herr!«, zischte eine Stimme.
Kylion fuhr herum. Vor ihm stand einer der gedungenen Männer.
»Was gibt’s?«
»Es heißt, dass die Nonnen heute zur Wahl schreiten. Es wird bald eine neue Mutter Oberin geben.«
»Gut.« Er warf dem Mann eine Münze zu. »Die Männer müssen jederzeit bereit sein, verstanden? Ab sofort keine Huren, kein Saufen, keine Balgereien und kein Spiel mehr!«
Der Mann nickte und verschwand.
Kylion setzte sich in Bewegung. Gemächlich schlenderte er auf der Stadtmauer um die Ansiedlung herum. Die Wachen grüßten ihn freundlich, denn er bedachte sie immer mit einem netten Wort, einer Münze oder mit einem Schluck aus dem Weinschlauch. Das Kloster geriet in sein Blickfeld. Er würde alles beobachten und im richtigen Moment zuschlagen. Am besten wäre der Angriff von Süden her über die Furt, die direkt am Kloster durch die Thaya führte. Damit würde niemand rechnen, denn nur in höchster Not durchquerte man im Winter eiskaltes Wasser. Bis jemand den Überfall bemerkte, wären sie längst in den Wäldern verschwunden. Fünf Männer würde er als Ablenkung mit viel Getöse nach Norden schicken, eine zweite Gruppe nach Süden. Beide Gruppen würden eine Frau mitführen. Er selbst würde sich nach Westen wenden, vorher der Metze die Haare schneiden und sie in Männergewänder stecken. Selbst wenn er noch zwei oder drei Wochen warten musste, diese Beute konnte ihm niemand mehr abnehmen.
***
»Hierher«, flüsterte Hiltrud und zeigte auf eine Nische.
Rebekka folgte ihr, obwohl dort nichts anderes sein konnte als eine Wand. Schließlich kannte sie den Grundriss des Klosters besser als die junge Novizin.
Fast jeden Tag führte Hiltrud sie im Kloster herum, sobald sie ein wenig Zeit übrig hatte, zeigte ihr jeden Winkel, die Bibliothek, den Kapitelsaal und den berühmten Kräutergarten, der jedoch unter einer dünnen Schneeschicht verborgen lag.
Hiltrud und sie waren Freundinnen geworden in der aufregenden Zeit ohne Mutter Oberin, in der sich kaum jemand um die beiden gekümmert hatte. Die meisten Schwestern schienen Rebekka vergessen zu haben. Ihr Glück, sonst hätte sie bestimmt längst unzählige unangenehme Fragen beantworten müssen. Oder sie wäre fortgeschickt worden. Hiltrud hatte keinerlei Vorbehalte gegenüber Rebekka. Im Gegenteil, die junge Frau hatte ihr vieles anvertraut. Nur dass sie Jüdin war, hatte sie bisher verschwiegen, und Rebekka fiel es zunehmend schwerer, sich nicht zu erkennen zu geben.
Seit drei Wochen war das Kloster nun schon ohne Oberin. Inzwischen hatte die vorweihnachtliche Fastenzeit begonnen, was bedeutete, dass Rebekka jeden Abend mit knurrendem Magen einschlief. Das Fehlen der Oberin machte sich an vielen Stellen bemerkbar, wie Hiltrud ihr erklärte. Wichtige Entscheidungen waren zu fällen, auch die Planung der Finanzen für das kommende Jahr musste dringend abgeschlossen werden. Die Schwestern wurden allmählich nervös. Immer öfter gab es Streit, auch in religiösen Fragen, und niemand war da, der schlichten oder ein Machtwort sprechen konnte. Immerhin waren die fünf Schwestern gewählt worden, aus deren Kreis die Oberin bestimmt werden
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