Die Reliquienjägerin: Historischer Roman (German Edition)
mein Leben zu opfern, Amalie. Und Ihr zweifelt an meiner Aufrichtigkeit?«
Rebekka senkte betreten den Blick. »Verzeiht, Vojtech von Pilsen, dass ich Euch misstraut habe. Aber ich bin verwirrt. Ich weiß nicht, wer wirklich mein Freund ist und wer mein Feind.«
Vojtech nickte. »Das ist auch für mich schwer zu durchblicken.« Er nahm ihre Hände. »Seid Ihr bereit?«
»Jederzeit.« Ihr Herz schlug bis in den Hals.
Vojtech senkte die Stimme zu einem Raunen. »Ich habe heute Nachtwache, gemeinsam mit einem einfachen Soldaten der Burg. Niemand rechnet mit einem Angriff, also sind wir allein am Haupttor. Ihr müsst dort sein, wenn es von der Burgkapelle zur Vigil läutet. Bringt nicht mehr mit als Euer Bündel, alles andere besorge ich. Euer Pferd wird bereitstehen. Wir müssen durch die Mannpforte. Hoffen wir, dass der Mond verdeckt ist, den Weg kenne ich im Schlaf, ich bin ihn in den letzten Tagen immer wieder abgeschritten. Sobald wir eine Meile von der Burg entfernt sind, können die anderen uns nicht mehr so leicht ausfindig machen.« Er sah sie eindringlich an. »Bald werdet Ihr Eure Eltern wiedersehen!«
Rebekkas Herz machte einen Sprung. Wenn nur alles gut ging! Ein Gedanke schoss ihr durch den Kopf. Was war mit Bohumir? Gehörte er zu Engelberts Verschwörung? Sie würde es nie erfahren. »Wo liegt Pasovary?«, fragte sie.
»Nur vier Stunden östlich von Prag«, erwiderte Vojtech. »Auf einer Felsnase, stolz und uneinnehmbar.«
»Ich werde pünktlich am vereinbarten Treffpunkt sein.« Sie blickte Vojtech in die Augen. Sie leuchteten grün wie Smaragde. »Ich werde Euch ewig dankbar sein, Vojtech von Pilsen.«
Er senkte den Blick, zog sich zurück und murmelte: »Euer ergebener Diener, Herrin.«
Wie ein Schatten verschwand Vojtech aus der Kammer. Rebekka schüttelte den Kopf, sie fühlte sich benommen. Wie schnell Leid und Freude sich abwechseln konnten, wie schnell Verzweiflung der Hoffnung wich!
Eilig packte sie ihr Bündel und schob es unter das Bett. Die Sonne war bereits untergegangen, doch bis zur Vigil war es noch lang. Sie öffnete den winzigen Fensterladen und warf einen Blick nach draußen. Die Luft war kalt und klar, dünne Wolken zogen über den Himmel, der Mond war eine schmale Sichel. Der Schnee war fast völlig weggetaut. Das Wetter würde halten, das spürte sie.
Sie schloss den Laden, entzündete ein Talglicht und versuchte, in den Dokumenten des Boethius weiterzulesen, aber sie war zu aufgeregt. Die Zeit wollte nicht vergehen, dehnte sich unendlich. Sie nickte ein.
Ein Geräusch riss Rebekka aus dem Schlaf. Die Kapelle schlug die Vigil! Sie sprang aus dem Bett, überprüfte ihr Bündel und schlich auf den Gang. Auf Zehenspitzen durchquerte sie den Flur. Sie zwang sich, nicht zu rennen, denn es gab Geräusche in einer Burg, die sofort jeden Mann aus dem Schlaf rissen. Eilige Schritte gehörten dazu.
Niemand kam ihr in die Quere, der Hof war ebenso ausgestorben wie der Palas. Neben dem schweren Haupttor erkannte Rebekka einen kleinen offen stehenden Durchgang. Das war die Mannpforte, durch die ein einzelner Mensch eintreten konnte, wenn das Haupttor bereits geschlossen war. Sie schlüpfte hindurch, hielt den Atem an, aber alles war, wie es sein sollte. Vojtech war da, er lächelte, als er sie sah. Er führte sein eigenes Pferd, Vila und ein Packpferd mit. An alles hatte er gedacht.
Vila begrüßte ihre Herrin mit einem Nasenstüber, gierig sog Rebekka den würzigen Duft des Pferdes ein. Ihre Hufe waren mit Stofflappen umwickelt. Vojtech deutete stumm auf den Weg. Der Halbmond schimmerte nur blass durch die Wolken, besser konnte es nicht sein.
Wortlos brachen sie auf, in Rebekkas Nacken kribbelte es noch eine ganze Weile, selbst als sie die Reichweite der Mauern verlassen hatten. Erst als sie aufsitzen und antraben konnten, entspannte sie sich langsam. Die Wolken, die ihnen Schutz geboten hatten, waren verschwunden, der Mond wies ihnen den Weg. Sie kamen schnell voran, und als der Morgen dämmerte, erreichten sie die Landstraße nach Prag, auf der sie so lange bleiben würden, bis der Abzweig nach Pasovary kam.
Auf der geheimen Karte, die Rebekka für Engelbert neu aufgezeichnet hatte, war Pasovary nicht verzeichnet gewesen. Zunächst begriff Rebekka nicht, wie das möglich sein konnte, wo doch die Burg nur wenige Meilen abseits ihrer Route lag. Doch dann fiel ihr eine Erklärung ein: Engelbert hatte es so angeordnet. Vermutlich hatte er befürchtet, dass der Name eine Erinnerung
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