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Die Residenz des Doktor Rattazzi: Roman (German Edition)

Die Residenz des Doktor Rattazzi: Roman (German Edition)

Titel: Die Residenz des Doktor Rattazzi: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ugo Riccarelli
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schaffen machte. Es war ein seltsamer Anblick: Die am Tisch sitzenden Partisanen aßen hastig, sie wechselten nur wenige Worte. Die Hausbewohner blieben ein wenig abseits und beobachteten die Männer, dabei warfen sie von Zeit zu Zeit sorgenvolle Blicke auf die Straße zur Schlucht.
    Eine unheimliche Spannung lag in der Luft, ein Misstrauen, das diese zähen Minuten mit der Qual des Wartens beschwerte.
    Plötzlich tauchte Renzo Bardi aus dem Nebenzimmer auf, eine seiner unverständlichen Litaneien vor sich hin murmelnd. Eine neugierige Elster war Renzo schon immer gewesen, schon als er noch ein Kind war und jeder Lichtschimmer irgendeinen Kobold in seinem Wasserkopf weckte. Das Funkeln einer Münze oder der Blitz eines Lichtreflexes genügte, um ihn anzuziehen, ihn zum Schauen, Berühren, Fragen zu zwingen.
    Im Nebenzimmer, wohin Renzo sich geflüchtet hatte, um nach dem Laufen und dem aufregenden Spiel wieder ruhig durchzuatmen, hatten unbekannte Stimmen und Geräusche ihn aus seinem Halbschlaf geweckt. Ein starker Durst brannte ihm in der Kehle, also ging er in die Küche, um sich mit einem schönen Glas Wasser zu erfrischen.
    Als er eintrat, sah er eine Menge Leute um den großen Tisch. Er fixierte die Sitzenden, versuchte ihre Züge zu erkennen, erinnerte sich aber nicht, jemals ähnliche Gesichter gesehen zu haben, und fühlte sich einen Augenblick lang verloren. Dann forderte die Stimme des »Dottore« ihn auf, hereinzukommen.
    »Ganz ruhig, Renzo«, sagte Beniamino lächelnd, »das sind alles Freunde.«
    Doch »Freunde« war ein Wort, das Bardi mit Menschen verband, die er bereits kannte, die ihm die Hand geschüttelt oder ihn zur Bank beim Rosenbusch begleitet hatten, als er noch in dem Haus mit den Ziegelsteinmauern und den großen Fenstern wohnte. »Freund«, das war der Aufseher Mario, der ihn manchmal einen Zug von seiner Zigarre nehmen ließ, einen tiefen Lungenzug. »Freund« war auch Marzi, wenn er ihm erlaubte, das Steuer des auf dem Hof stehenden Lastwagens nach rechts und links zu drehen und dann auszusteigen, um zu überprüfen, ob die Räder ihre Stellung verändert hatten. »Freunde« waren auch Fosco und der Doktor Beniamino und alle, mit denen er auf der Wiese lag oder auf der Bank saß, um sich von der Sonne bescheinen zu lassen. Kein »Freund« war Bruni, der immer so ernst dreinschaute, dass man es mit der Angst kriegen konnte, und auch Schwester Delia mit ihrer rauhen Stimme nicht, weil sie ihm unbedingt Gebete beibringen wollte, die er überhaupt nicht mochte, sie waren viel zu lang und kompliziert. Viel besser die Liedchen von Rattazzi oder die Pasta mit Bohnen von Elemira. Die waren »Freunde«.
    Der Gedanke an die Pasta mit Bohnen brachte ihm den quälenden Durst wieder zu Bewusstsein, also versuchte Bardi, seine Angst vor diesen unbekannten Gesichtern zu verscheuchen und ging zum Tisch, wo er Krüge und Weinflaschen gesehen hatte.
    In diesem Moment traf ihn das Funkeln der Maschinenpistole. Neben dem Teller mit einer angeschnittenen Wurst lag das Stück Eisen und funkelte in der Sonne, die durch das Fenster schien. Augenblicklich verschwand alles andere: Die ganze Welt bestand für Bardi nur noch aus diesem blendenden Licht, und er stürzte auf den Mittelpunkt der Welt zu, den er auf dem Küchentisch glänzen sah.
    Alles geschah in wenigen Sekunden. Mario Panetta, Partisanenname Carbone, stillte gerade seinen Hunger mit einem Stück Wurst, als er an seiner rechten Seite einen Schatten herankommen sah. Er wandte sich um und erblickte eine Art Ungeheuer mit verzerrten Zügen und einem deformierten Riesenschädel. Der schwarze Mann aus den Erzählungen seiner Großmutter, die Augen weit aufgerissen, die Hände nach ihm ausgestreckt. Der Stoß, mit dem er sich zu wehren versuchte, war die Befreiung von einer uralten Kinderangst, die er in Bardis irrem Blick gespiegelt sah.
    Der Stoß ließ den Irren der Länge nach über den Tisch fallen, aber es gelang ihm trotzdem, seine glitzernde Sonne zu ergreifen. Dann das Chaos. Zwei Partisanen warfen sich auf Bardi, während Beniamino und Marzi ihn zu schützen versuchten. Die allgemeine Verwirrung explodierte wie eine Bombe und erreichte sofort das Zimmer, in dem die Verrückten bis zu diesem Moment ruhig geblieben waren. Mita warf sich auf den Boden und begann zu weinen, Renatina winselte vor Angst, während Fosco, in einer Ecke kauernd, sein Gesicht in den Händen verbarg und böse knurrte. In diesem Augenblick kam Malfatti in die Küche und

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