Die Residenz des Doktor Rattazzi: Roman (German Edition)
Richtung befahren.
Dieses eine Mal waren nicht sie die Verrückten, wie es schien. Umgeben von Freudenschreien, die aus den Straßen schallten, waren Renatina, Giovanni, Mita und die anderen still sitzen geblieben und hatten die Fröhlichkeit, mit der die vielen Menschen herumtanzten, sich gegenseitig umarmten, lachten und jubelten, fast eingeschüchtert betrachtet.
Dann waren sie auf die Piazza gegangen und hatten sich unter das Fest gemischt, einander an den Händen haltend wie Schulkinder. In der Menge hatten auch Marcella und er sich ein paar Stunden lang den Leichtsinn der Hoffnung gegönnt, hatten sich in der Illusion gewiegt, dass es keine Vergangenheit mehr gab und alles nur vor ihnen lag, offen für die kommenden Tage voll neuen Lebens, das es aufzubauen galt und das in dem Kind schlummerte, das Marcella in sich trug.
Zusammen mit den anderen hatten sie sich dem Strom der Menge überlassen, wie ein Stück Holz sich von einem reißenden Fluss treiben lässt. Sie waren glücklich und endlich unbeschwert, riefen einander zu wie im Spiel, blieben durch Schreie und Blicke zwischen Renatina und Marzi, durch Giovannis Lachen und Malfattis glückliches Gebrüll miteinander in Kontakt, wurden manchmal vom hin und her wogenden Gedränge versteckt und fanden sich immer wieder.
In einem dieser Momente hatte er Fosco gesehen. Der Junge saß allein auf der Treppe zur Irrenanstalt und beobachtete das festliche Treiben ringsum, ein Gewehr über dem Rücken und ein rotes Taschentuch um den Hals. Da war die Zeit festgefroren wie in Träumen, und wie in Träumen hatte Fosco sich umgewandt, und ihre Blicke waren sich begegnet.
Er hatte ihm zugelächelt.
Beniamino wollte ihn rufen, doch die Rührung erstickte ihm die Stimme in der Kehle. Ihm war gerade genug Zeit geblieben, um das glückliche Gesicht des Jungen zu sehen, während er die Arme ausbreitete, als wollte er Beniamino den fröhlichen Trubel um sie herum zeigen, etwas, wozu er selbst beigetragen hatte, im Krieg wie in der Liebe.
Dann hatte der freie Raum sich wieder geschlossen, und als Beniamino sich endlich einen Weg durch die Menge gebahnt hatte, war die Treppe der Irrenanstalt leer gewesen. Besorgt hatte er sich umgesehen und versucht, Marcella zu beruhigen, die nicht verstand. Er hatte sich auf die Zehenspitzen gestellt, nach rechts und links gespäht, sogar versucht, mit Schreien den fröhlichen Lärm zu übertönen, in dem jedes einzelne Rufen ertrank, bis ihm nach einem letzten Ruf der Gedanke gekommen war, er habe wirklich geträumt, dass der Albatros ihm noch einen letzten Gruß schenken wollte, um ihm zu zeigen, was er erreichen konnte, wenn er nur frei am Himmel fliegen durfte. Also hatte Beniamino Marcella in die Arme genommen und versucht, ein Gefühl festzuhalten, das ihm nicht entwischen durfte, das Gefühl, endlich ein Arzt zu sein, den Mund voller Rosenblätter und die Augen weit geöffnet, um dem Flug eines Vogels zuzusehen, den er nie wieder einsperren würde.
Und jetzt bat ihn eine junge Journalistin, dies alles zu erzählen, die gewesene Zeit zurückzugeben, sie wenigen zerstreuten Zeilen für eine Tageszeitung zu überlassen, vielleicht auch einem Tonband für einen Radiosender, er hatte es nicht einmal genau verstanden.
Die Frau hatte von den Verrückten im Pianoro und vom Partisanen Wiebeiderliebe gehört.
Sie wollte das Bild des Wahnsinns und des Krieges verbinden.
Eine Gruppe wehrloser Menschen, der Brutalität ausgeliefert.
Sie wollte alles wissen.
Von den Partisanen und den Deutschen.
Von der Macht der Geschichte und der Verzweiflung der Krankheit.
Vom Irrenhaus und dem Kampf um die Befreiung.
»Erzählen Sie es uns.«
Der Alte sah aus dem Fenster. Er betrachtete das wirre Treiben auf dem Marktplatz, das Wirbeln einer immer ferneren Welt, während über der Piazza der Vogelschwarm wieder seine irren Bahnen an den Himmel zeichnete. Er folgte ihnen, verlor sich eine Weile in diesem Anblick und spürte, wie in seiner Brust heftig Wut und Liebe gleichzeitig aufstiegen.
Dann drehte er sich zu der Journalistin um.
»Schreiben Sie nur eins«, sagte Beniamino: »Die Befreiung war der reine Wahnsinn.«
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Danksagung
Viele der Anregungen und Materialien, die es mir möglich gemacht haben, diese Geschichte zu schreiben, verdanke ich Alessandro Garzella und Fabrizio Cassanelli von der Città del Teatro in Cascina, die seit Jahren intensiv mit den Patienten des Centro Diurno San Frediano in Settimo arbeiten.
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