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Die Residenz des Doktor Rattazzi: Roman (German Edition)

Die Residenz des Doktor Rattazzi: Roman (German Edition)

Titel: Die Residenz des Doktor Rattazzi: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ugo Riccarelli
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betrachtete er Cavani, der, am Boden liegend, das Gesicht eine blutige Maske, leise wimmerte und unverständliche Worte nuschelte.
    »Da sehen Sie, welches Leid der Irrsinn hervorruft«, sagte er und zeigte auf den alten Professor zu seinen Füßen.
    Wie in einem bösen Traum sah Beniamino ihn langsam den Halfter an seiner Seite öffnen und einen Revolver herausziehen.
    Beniamino schwanden fast die Sinne. Er drückte Fosco an sich und wünschte, er könnte ein Albatros sein wie der Junge und auffliegen, in die Höhe, weit fort, oder ein Tiger, mutig und kräftig genug, um sich auf den Offizier zu stürzen und ihn zu zerfleischen, ihm mit scharfen Zähnen den brennenden Schmerz zuzufügen, den die Angst den Verrückten bereitet. Oder ein Abgrund, um ihn sekundenschnell zu verschlingen, wie die Qualen, die das Leben der Kranken zerstören. Er wünschte, er könnte einfach die Augen schließen, sie so fest zukneifen, dass es schmerzte, und als Entschädigung für diesen Schmerz vom Anblick des Hauptmanns befreit werden, dessen Arm sich jetzt auf Cavanis Gesicht richtete, vom Anblick der Waffe am Ende dieses Arms, die mit einem trockenen Schuss explodierte, der das Leben des Professors auslöschte und die ganze Fröhlichkeit des Pianoro vernichtete, so dass es schien, als zöge dieser sich mit dem Echo des Schusses in sich selbst zusammen, verlöre seine Farben und verschwände.
    Aber Beniaminos Augen blieben weit geöffnet, und er sah Cavanis Kopf mit dem Pistolenschuss explodieren.
    »Wir müssen den Kranken das Leiden ersparen, um der Menschheit ihre Würde zurückzugeben, und das hier ist die wirkungsvollste Medizin«, sagte der Offizier und zeigte auf den Revolver. Beniamino aber hörte ihn nicht mehr, denn jetzt sah er, wie der Wunde in Cavanis Kopf viele hundert Verse von Homer entströmten, jene Worte, die der alte Mann so sehr geliebt und jahrelang in seinem Geist bewahrt hatte, mit denen er zu Bett gegangen war, gelacht und geweint, geschlafen und gegessen hatte, Verse, mit denen er die Welt gelesen und beschrieben hatte, um denen, die ihm zuhörten, Trauer und Schönheit zu schenken.
    Da lächelte Beniamino. Unter Tränen, die ihm jetzt in die Augen stiegen, die er zuvor nicht hatte schließen können, gelang ihm ein Lächeln, wie ein Gruß an die Worte des Professors, die schon über den Hof flogen, über die Wiesen schwebten und zum Himmel aufstiegen, endlich befreit von den Mauern des Irrenhauses, vom Wahnsinn und vom Krieg.

S O KAM DER Tod bis zum Haus im Pianoro.
    Die Deutschen ließen die Leiche von Professor Cavani auf dem Hof liegen und fuhren ab, nachdem sie gedroht hatten, wenn einer von ihnen noch einmal wagen würde, den Partisanen zu helfen, würden sie wiederkommen, und dann würde Schlimmeres passieren.
    Während er noch immer versuchte, Foscos Erregung zu bändigen, indem er ihn fest umschlungen hielt, sah Beniamino sie hinter der Kurve verschwinden. Das Echo des Schusses, der Cavanis Leben ausgelöscht hatte, dröhnte ihm im Kopf, und er hörte die hingeworfenen Worte des Offiziers, Grundsatz einer Medizin, die, so hatte Rattazzi es ihm seinerzeit erklärt, das eigentliche Wesen des Wahnsinns war. Er hörte den leiser werdenden Motorenlärm, sah im Geiste immer noch das Bild Castelluccis, der den Blick, vermutlich aus Scham und Reue, abgewandt hatte, als er an seinem alten Freund vorbeigegangen und neben dem Offizier in das Fahrzeug gestiegen war.
    Sie waren abgefahren und hatten den Tod zurückgelassen, mitten zwischen den Hausbewohnern, die sich nicht rührten, an die Mauer gelehnt, neben Cavani kniend, jeder eingeschlossen in ein Verstummen, Weinen oder zwanghaftes Wimmern.
    Auch dies war ein Moment, in dem die Zeit sich auszudehnen schien und die Dunkelheit fast zu langsam hereinbrach, so gemächlich, dass sie die Totenwache nicht störte, die alle ohne großes Aufheben für den vor dem Haus liegenden Leichnam hielten, jeder auf seine Weise, jeder mit einem Teil von sich, den er dem armen geschundenen Körper zu Füßen legte, ein Zittern, eine Träne, ein gemurmeltes Wort, ein Fluch, mit zusammengebissenen Zähnen verschluckt.
    Diese gedehnte Zeit half ihnen, sie erlaubte ihnen, ohne Eile der Nacht entgegenzugehen, Alpträume und Ängste langsam verfliegen zu lassen, die nötige Kraft zu schöpfen, um andere zu versorgen und sich versorgen zu lassen, um sich und den Leichnam des alten Professors im Haus in Sicherheit zu bringen, wo sie sich wieder einmal alle um den Tisch der großen

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