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Die Residenz des Doktor Rattazzi: Roman (German Edition)

Die Residenz des Doktor Rattazzi: Roman (German Edition)

Titel: Die Residenz des Doktor Rattazzi: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ugo Riccarelli
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Beniamino.
    Foscos Blick war starr auf einen unbestimmbaren Punkt gerichtet.
    »Nein«, sagte er plötzlich laut, fast schreiend, »Krieg ist Krieg, das gefällt mir nicht.« Dann löste er sich aus Beniaminos Armen und rief: »Ich will nicht Krieg spielen.«
    Beniamino betrachtete ihn. Ein grimmiger Ausdruck trat auf das Gesicht des Jungen. Ihm schien etwas eingefallen zu sein, was ihn peinigte.
    »Die Jäger haben das Entchen getötet, weil sie essen mussten«, sagte er. »Und dann brachten sie ein Opfer für die Liebe.«
    Seine Stimme wurde fester. »Um zu bezahlen«, sagte er, während er seinen verletzten Arm ausstreckte, um Beniamino die entstellende Narbe zu zeigen. »Man muss bezahlen. Für den Frieden. Die Liebe«, murmelte er vor sich hin.
    Mit einem jähen Ruck drehte er sich zu Beniamino um und zeigte auf das Haus.
    »Bezahlst du für Marcellas Liebe?«
    Beniamino schwieg verblüfft, er wusste nicht, was er antworten sollte.
    »Bezahlst du für Marcellas Liebe?« fragte Fosco erneut.
    Beniaminos Herz krampfte sich zusammen. Er fühlte sich in die Ecke gedrängt. Das Bild der Muttergottes, die ihn mit ernstem Blick von der Wand der Kapelle beobachtete, schoss ihm durch den Kopf. Er spürte, wie seine alten Ängste sich in der Umarmung auflösten, mit der Marcella ihn in die Pflicht genommen, ihn vor die Entscheidung gestellt hatte, ob er Verantwortung übernehmen wollte für das, was ihre Liebe, verborgen in ihrem Fleisch, gezeugt hatte.
    »Natürlich, Fosco, für die Liebe zahlt man.«
    »Eine Umarmung«, sagte der Junge.
    »Einen Kuss«, fügte Beniamino hinzu.
    »Ich habe Angst vor Küssen.«
    »Die Liebe bezahlt man auch mit der Angst, Fosco.«
    Da zog der Junge Beniamino an sich, drückte ihn und küsste ihn heftig auf eine Wange. Dann zog er sich wieder zurück.
    »Mit einem Kuss bezahlt man«, murmelte er, als spräche er zu sich selbst.
    Dann verfiel er, den Blick auf den Boden gesenkt, in Schweigen.
    Auch Beniamino bereitete das Sprechen noch Mühe, wegen der Gespenster der Dunkelheit, mit denen er diese nächtlichen Stunden verbracht hatte, und auch wegen der Rührung, die ihn jetzt überkam, ähnlich wie bei den Szenen auf dem Hof des Pianoro, wenn er den anderen eine neue Situation vorschlug, die sie darstellen sollten. Bei diesem Spiel musste man in die eigenen Tiefen hinabsteigen, um herauszuholen, was jeder in seinem Inneren verborgen hielt, und es dann freilassen: Giovannis Gott, die Schläge von Malfattis Vater, Mitas Kinder und Renatinas Mutter.
    Fosco beugte sich wieder zu Beniamino hinüber.
    »Ich spiele jetzt Krieg wie bei der Liebe«, sagte er mit gedämpfter Stimme, als vertraute er ihm ein Geheimnis an. Der Ärmel seiner Jacke war ein wenig hochgerutscht, und wieder sah man die Narbe der entsetzlichen Wunde, die vom Handgelenk bis zum Ellenbogen reichte.
    Beniamino streichelte das Zeichen des Opfers, mit dem Fosco einst versucht hatte, für die Liebe zu bezahlen. Er lächelte.
    »Wie bei der Liebe, wie bei der Liebe«, wiederholte der Junge unterdessen, und diese Wiederholung nahm den Rhythmus einer Litanei an, die sich die Zeit unterwarf, die Worte zusammenpresste und zu einem einzigen Wort verband.
    »Wiebeiderliebe«, schrie Fosco.
    In diesem Moment erschien ein Vogelschwarm am Himmel wie damals in dem engen Stück Himmel über der Irrenanstalt, und wie immer riss er Foscos Leben mit sich.
    Mit weit ausgebreiteten Armen, den Kopf in den Nacken gelegt, begann der Junge seinen frenetischen Tanz aus Kreisen und Sprüngen, und der Tanz war durchsetzt mit dem Wort, das er soeben gebildet, mit dem er die Angst bekämpft hatte, endlich verrückt und weise geworden war, außer sich vor Freude über die Liebe, die die Regeln des Krieges veränderte und ihn verjagte, die den explodierten Kopf von Professor Cavani auslöschte, den Himmel mit fliegenden Vogelschwärmen füllte und sogar die Mauern niederriss, die der Krieg um den Pianoro hatte bauen wollen.

D ER A LTE STAND da, auf das Fensterbrett gestützt. Der Vogelschwarm war plötzlich verschwunden, nun strahlte die Sonne wieder über dem Platz, aus dem sich der Marktlärm erhob.
    Mit den Jahren hatte sich um die Piazza herum alles verändert. Die Menschen, die er geliebt hatte, waren nicht mehr da. Der Lauf der Zeit hatte viele von ihnen aus dem Leben gerissen, die Erinnerungen waren ausgefranst, verblasst, und die Geschichten derjenigen, die seine Lebenszeit geteilt hatten, waren den Dingen gewichen: Die Straßen der Stadt hatten

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