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Die Residenz des Doktor Rattazzi: Roman (German Edition)

Die Residenz des Doktor Rattazzi: Roman (German Edition)

Titel: Die Residenz des Doktor Rattazzi: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ugo Riccarelli
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aufzurichten und sie plötzlich, wie vom Blitz getroffen, zu umarmen, wieder laut zu fluchen und ihr zu befehlen, sie solle endlich mit dem Flennen aufhören, denn »das einzige Ziel eines Vaters und einer Mutter ist es, ihren Kindern zu helfen, anstatt sie in einem Meer aus Tränen zu ertränken«. So hatte er zu ihr gesagt und ihr dabei eine Ohrfeige gegeben, so dass sie schlagartig zu weinen aufhörte.
    Darum hatte es Elemira, als Beniamino ihr von Aidas Idee erzählt, sich neben sie gesetzt und sie umarmt hatte, einen Stich ins Herz versetzt, so stark, dass er sie an die Ohrfeige erinnerte, mit der Ignazio ihre Tränen erstickt hatte. Auch brachte er ihr erneut zu Bewusstsein, dass sie nun gleichzeitig Vater und Mutter sein musste. Und so hatte sie begriffen, dass der Moment gekommen war, die Tränen zu trocknen, nicht mehr in der Küche zu warten, bis ihr Mann früher oder später durch die Tür kommen würde, als wäre er nur ein paar Tage zu den Märkten gefahren und läge nicht steif zwei Meter unter der Erde.
    Allein Beniaminos hinkender Gang war ein schwer erträglicher Anblick, und zweifellos war es dieses Unglück gewesen, was das Herz ihres Mannes gebrochen hatte, wo doch auch ihres sich wie unter einem Zangengriff zusammenpresste, sobald sie den schwankenden Schritt dieses Sohnes sah. Wenn Ignazios Fröhlichkeit, seine gute Laune und seine großen Pläne, wenn die aufrichtige Liebe, die sie für diesen Mann empfunden hatte, echt gewesen waren, dann war der Moment gekommen, die Mutter ihres Sohnes zu sein, auch um des verstorbenen Ignazio willen, und sich wieder zum Arbeiten niederzuknien, wie sie es Aida tausendmal unten am Wassergraben hatte tun sehen, nach dem Tag, an dem das Fieber ihr den Vater genommen hatte.
    Also war Elemira vom Stuhl aufgestanden, hatte einen letzten Blick auf die Küchentür geworfen, als wollte sie sich vergewissern, dass Ignazio keinesfalls mehr kommen würde, und war hinaufgegangen, um ein Kleid auszusuchen, in dem sie ihren Sohn am nächsten Tag zu Tiziani begleiten würde.
    An Beniaminos Arm ging sie am Morgen darauf durch das Eingangstor der Irrenanstalt, und das Herz wurde ihr schwer, denn dieser Ort hatte ihr nie gefallen, sondern sie immer erschauern lassen und ihr Unbehagen bereitet, als hätte sie nicht schon genug eigene Probleme. Der beißende Geruch in der Luft schnürte ihr die Kehle zu wie eine Hand, die sich um ihren Hals legte. Darum klammerte sie sich noch fester an den Arm ihres Sohnes, den sie hätte stützen und beschützen sollen, während er es war, der sie in diesem Moment stützte.
    Sie durchquerten die Vorhalle bis zu der großen Glastür, die in die Station führte. Von hier aus konnte man am Ende des breiten Flurs den Hof und seine Mauer sehen, unterbrochen vom Maschendrahtzaun, der durch den Rosenbusch fast ganz verdeckt wurde. Hinter dem Zaun sah man ihr Haus, und bei dem vertrauten Anblick erholte Elemira sich ein wenig, als sähe sie ihr Heim nach einer stundenlangen Abwesenheit wieder.
    Als die Schwester sie an der Tür anhielt, um ihnen die Treppe zu den Büros im ersten Stock zu zeigen, war der Mut zurückgekehrt, der Elemira bewogen hatte, Beniamino zu Tiziani zu begleiten.
    Dieser empfing sie höflich, bat sie, Platz zu nehmen, und sprach ihnen sofort sein Beileid aus. Er habe es von seiner Frau, einer Kundin Ignazios, erfahren, sagte er, und beteuerte, wie sehr er den Tod eines Menschen bedaure, der nach dem, was man hörte, ein ehrenwerter Mann, rechtschaffen und fleißig, außerdem ein vorbildlicher Vater und Ehemann gewesen sei.
    Elemira verstand diese Worte als eine Aufforderung, und an dieser orientierte sie sich, um ihren Besuch zu erklären. Da Ignazio tatsächlich ein fleißiger Arbeiter, ehrenwert, rechtschaffen und so weiter gewesen war, eben weil er aus eigener Kraft die ganze Familie auf seinen Schultern getragen hatte, musste sie nun, da diese Säule eingestürzt war, mit tausenderlei Problemen fertig werden, mit den unvorhersehbaren Entwicklungen eines Geschäfts, von dem sie nichts verstand, mit einer alten Mutter und einer kleinen Tochter, die ernährt werden wollten, außerdem einem Goldstück von Sohn, der studiert hatte, dem aber ein vermaledeiter Unfall ein Bein und die schon so nahe gerückte Aussicht auf eine Karriere als Arzt zerschmettert hatte.
    Elemira sprudelte dies alles fast in einem Atemzug heraus, dabei half ihr der Vorsatz, den sie gefasst hatte, außerdem das Kopfnicken, mit dem Tiziani ihr bedeutete, dass

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