Die Rettung von Zei
das gleiche wie im ersten Fall; nämlich dass sie zwangsläufig immer langsamer würden, bis sie schließlich vor Erschöpfung im Wald zugrunde gehen würden – vielleicht nur einen Bogenschuß von ihrem Ziel entfernt.
Wenn es ihnen gelänge, ein größeres Tier zu erlegen, dann konnten sie genug Fleisch als Proviant mitnehmen, um einige Zeit bei Kräften zu bleiben. Aber wie? Während ihres Marsches hatten sie schon häufig kleinere Pflanzenfresser aus dem Unterholz aufgescheucht. Aber diese Tiere waren immer rasch geflüchtet, selbst wenn sie gehörnt oder mit Stoßzähnen bewehrt gewesen waren. Barnevelt bezweifelte, dass er je so nahe an eines von ihnen herankäme, dass er sein Schwert benutzen konnte. Selbst wenn er sich einen Speer bastelte, indem er seinen Dolch an einen Stock band, würde das die Erfolgschancen nicht wesentlich verbessern. Und was das Bogenschießen betraf, so wusste Barnevelt nicht einmal, von welcher Seite des Bogens man den Pfeil abschießen musste.
Stunde um Stunde verrann. Die Sterne zogen in glitzernden Schwärmen ihre Bahn am Himmel. Die drei Monde, die jetzt weiter denn je voneinander entfernt waren, versanken in den Wäldern von Rakh. Als das erste Morgengrauen die Sterne am östlichen Himmel verblassen ließ, erwachte Zei.
»Oh, Ihr Treuloser, warum habt Ihr mich nicht geweckt und zur Erfüllung meiner Pflicht gemahnt?« beschwerte sie sich gähnend. »Ich muss während meiner Wache ins Reich der Träume hinübergeglitten sein. Ich bestehe darauf, dass Ihr mich für diese verwerfliche Verletzung meiner Pflicht mit einer angemessenen Strafe bedenkt. Wohlan, was verlangt Ihr von mir als Entgelt?«
»Wenn Ihr …« Er wollte schon mit seinem langgehegten heimlichen Wunsch herausplatzen, besann sich dann aber rechtzeitig eines Besseren. »Schluck. Nun denn … ein Küsschen, und wir vergessen die Sache.«
Als sie ihn küsste, krallte er seine Hände so fest ineinander, dass die Knöchel weiß hervortraten. So sehr musste er an sich halten, um Zei nicht zu packen und an sich zu reißen. Während er noch seinen schier übermenschlichen inneren Kampf gegen die geballte Macht der Lust ausfocht, ließ ein Geräusch Zei herumfahren. Sie stieß einen gellenden Schrei aus.
»Ein Yeki!«
7
B arnevelt sprang so heftig auf, dass er um ein Haar Zei ins Feuer gestoßen hätte. Am Fuß der kleinen Halbinsel, auf der sie sich zur Rast niedergelassen hatten, kauerte ein großes Tier. Obgleich das Licht nur schwach war, als dass man Einzelheiten hätte erkennen können, wusste Barnevelt, dass es sich in der Tat um einen Yeki handelte. Er hatte schon einmal einen im zoologischen Garten von Majbur besichtigt.
Man stelle sich ein Raubtier von der Körperhöhe und Bulligkeit eines irdischen Tigers vor – jedoch anderthalbmal so lang und mit sechs statt mit vier Beinen. Den Schädel und die Pranken konnte man mit denen eines irdischen Bären vergleichen oder, genauer gesagt, mit denen eines überdimensionalen Nerzes. Schimmerndes kurzes braunes Fell bedeckte das Tier.
Der Yeki, dessen sechs kurze Beine so stark gebogen waren, dass der Bauch fast den Erdboden berührte, pirschte sich ganz langsam an sie heran, wie eine Katze an einen Vogel. Barnevelt zerrte einen brennenden Ast aus dem Feuer und schleuderte ihn dem Tier entgegen. Er verfehlte den Yeki. Das Tier machte einen Satz zur Seite, schnappte gereizt und knurrte, als ihm das glühende Scheit am Kopf vorüberwirbelte. Dann nahm es seine Pirsch wieder auf. Barnevelts Gehirn arbeitete fieberhaft, während er den zweiten Ast schleuderte.
»Klettern sie auch auf Bäume?« stieß er keuchend hervor.
»Nein – die Jungen vielleicht, aber nicht die ausgewachsenen Yeka. Was …?«
»Werft weiter brennende Äste, und legt mehr Holz ins Feuer!« Barnevelt packte den jungen Baum, den er am Vorabend gefällt hatte, und stellte ihn aufrecht. Der Stamm war ein kleines Stück länger als er selbst, wenn man die Zweige an der Krone mitrechnete.
»Er wird gleich angreifen, O Snyol!« murmelte Zei mit bebender Stimme.
»Werft weiter!« Barnevelt hielt mit der Linken den Stamm aufrecht und begann mit dem Schwert die Zweige abzuhacken. In wenigen Sekunden hatte er einen geraden Stamm, der in einem geweihartigen Astgewirr endete. Jeder Ast endete ein oder zwei Fuß vom Stamm entfernt in einer Spitze.
»Seht Ihr den großen Baum dort drüben, dessen Äste knapp über dem Boden beginnen?«
»Ja.«
»Da klettern wir rauf.«
»Wie soll das gelingen,
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