Die Rettung
Mann hinter dem Tresen war eifrig damit beschäftigt, Aschenbecher zu leeren und die Gläser der Männer mit einem dunklen Gebräu zu füllen, das Barri für Ale hielt. Zwar hätte sie von der Optik her Ale nicht von Kräuterlimonade unterscheiden können, aber das Zeug war dunkel, und sie befand sich hier in Schottland, also musste es sich wohl um Ale handeln.
Sie nahm auf einem Stuhl Platz und bestellte eine Diätcola. Sie wurde ihr in einer Dose und mit einem Glas ohne Eis serviert. Barri musterte ihren Drink argwöhnisch. Flüchtig überlegte sie, ob sie Eis verlangen sollte, doch dann sagte sie sich, dass sie ja unter anderem auch hier war, weil sie dieses Land kennen lernen wollte. Warum also nicht bei den Getränken anfangen? Vielleicht gab es ja einen Grund dafür, dass Coca-Cola bei Raumtemperatur und ohne Eis auf den Tisch kam. Vorsichtig nahm sie einen Schluck. Nicht schlecht.
Vermutlich lag die durchschnittliche Raumtemperatur in Schottland einige Grad niedriger als in den USA. Auch schienen die Getränke weniger Kohlensäure zu enthalten, als sie es gewohnt war. Wenn sie daheim eine ungekühlte Cola trank, bekam sie unweigerlich einen Schluckauf. Genüsslich leerte sie ihr Glas zur Hälfte. Wirklich nicht übel.
Die Männer an der Theke unterhielten sich immer noch, aber Barri konnte nicht verstehen, was sie sagten. Im Hotel hatte sie keinerlei Verständigungsschwierigkeiten gehabt, aber wahrscheinlich hatten die Leute dort ihr zuliebe extra langsam gesprochen. Hier ergaben die abgehackten, oft nur aus einem Wort bestehenden Sätze keinerlei Sinn für sie.
Die Männer waren alle schon älter; vermutlich Rentner, die es sich erlauben konnten, um diese Tageszeit im Pub herumzulungern. Einer trug ein Tweedjackett und Flanellhosen, sein graues Haar fiel ihm in krausen Locken bis über die Ohren. Die anderen hatten Jeans, T-Shirts und Wolljacken an - einer eine gelbe, der andere eine hellblaue. Beide waren etwas jünger als der Mann in Tweed. Sie sahen zu Barri hinüber, die hastig den Blick senkte.
Doch dann fragte sie sich, warum sie eigentlich jedem Kontakt mit den Einheimischen aus dem Weg gehen sollte. Sie war hier, um Antworten auf ein paar Fragen zu bekommen, und wenn Mr. MacDonell nicht da war, musste sie sich eben an jemand anderen wenden. Schließlich war sie weit weg von zu Hause, da würde es ihrem Ruf wohl kaum schaden, wenn sie ein paar wildfremde Männer ansprach. Entschlossen hob sie den Kopf und sah zur Theke hinüber. »Entschuldigen Sie bitte, aber dürfte ich Ihnen ein paar Fragen stellen?«
Alle drei drehten sich zu ihr um. Sie wirkten etwas überrascht, schienen sich aber über die Ablenkung zu freuen. Der in der blauen Jacke sagte freundlich: »Was können wir denn für Sie hm, Madame?«
Barri holte tief Atem. Sie war so nervös, dass sie fürchtete, keinen vernünftigen Satz herausbringen zu können. »Mein Name ist Barri Matheson. Ich bin hier, um ein wenig Ahnenforschung zu betreiben, aber der Mann, der das Archiv der Bibliothek verwaltet ...«
»Ach ja, Ewan. Der ist für zwei Wochen im Urlaub. Ist gestern nach Antwerpen gefahren. So lange werden Sie vermutlich nicht bleiben?«
Enttäuschimg malte sich auf Barris Gesicht ab. »Nein, nur noch vier Tage.«
Der Mann in der gelben Jacke kam näher. »Sie sind demnach eine geborene Matheson?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, Matheson ist der Name meines Mannes, Ich möchte etwas über seine Familie herausfinden.«
Die Männer sahen sie erstaunt an. Dann ergriff der in der gelben Jacke wieder das Wort. »Och, und ich hätte schwören können, dass Sie eine Matheson sind. Sie ähneln meiner Mutter, wissen Sie, und die ist...« Er brach ab und zuckte die Schultern. »Da habe ich mich wohl geirrt.«
Barri brach das verlegene Schweigen. »Weil ich leider keinen Blick in die Kirchenregister werfen konnte, dachte ich, ich sollte einmal in die Bibliothek ...«
Alle drei Männer schüttelten bei der Vorstellung, sie könne in Büchern etwas Nützliches finden, abwehrend den Kopf. Der im Tweedjackett sagte: »Sie haben Glück, Madame, Sie sind an den einzigen Mann im Tal geraten, der Ihnen wirklich weiterhelfen kann. Wenn Sie etwas über die Mathesons er-fahren wollen ... nun, das ist alles hier gespeichert.« Er lächelte breit, wobei er schiefe gelbe Zähne entblößte, und tippte sich mit einem nikotinbraunen Finger viel sagend gegen die Stirn. Tatsächlich schien er sich zu freuen, eine willige Zuhörerin gefunden zu haben.
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