Die Rettung
bewegten sich tonlos. Er ließ irgendetwas in das Feuer fallen. Neben ihm brannten mehrere Kerzen.
Im nächsten Augenblick war er verschwunden. Ihre Fantasie hatte ihr einen Streich gespielt. Ihr Kopf fühlte sich merkwürdig leicht an, und die Erde schien unter ihren Füßen zu schwanken. Ihr Puls raste. Einen Moment lang fürchtete sie, den Verstand zu verlieren.
Wieder blickte sie sich nach allen Seiten um. Nirgendwo brannte etwas, und der Geruch nach Rauch war auch verflogen.
Erneut schien etwas Weißes in den Ästen der Eiche zu schimmern. Ein neues Trugbild. Laut sagte Barri: »Du willst dich mir nicht zeigen, nicht wahr? Du weißt, weshalb ich hier bin, und du weißt auch, wer ich bin.«
Doch noch immer erhielt sie keine Antwort.
Die Sonne stand inzwischen tief am rötlich schimmernden Himmel. Es wurde langsam zu kalt hier oben, um müßig herumzustehen und auf eine Fee zu warten, die doch nicht auftauchen würde. Allmählich begann Barri auch an Codys Geschichte zu zweifeln. Sie war erschöpft und fühlte sich zutiefst verwirrt.
Vielleicht hatte es die Fee ja nie gegeben. Vielleicht hatte Cody sich die ganze Geschichte über Dylan nur ausgedacht, um sie, Barri, zu trösten. Aber das Buch mit dem Steckbrief existierte wirklich, sie hatte es ja selbst in den Händen gehalten. Barri wusste nicht mehr, was sie denken sollte. Sie wünschte, Cody wäre hier, um ihr ein paar Fragen zu beantworten.
Im Moment konnte sie jedoch nichts anderes tun, als ins Auto zu steigen, nach Ciorram zu fahren und zu hoffen, dass sie dort mit ihren Recherchen mehr Erfolg hatte. Doch als sie vom Parkplatz auf die einspurige Straße einbog, musste sie plötzlich an Nathan denken. Er würde sich freuen, wenn sie nach Tennessee zurückehrte, und das wog ihre eigene Enttäuschung ein wenig auf.
Die Schönheit der Landschaft übte eine beruhigende Wirkung auf sie aus. Es war nicht schwer zu begreifen, was Dylan an diesem Land so fasziniert hatte. Hier war alles vom Atem der Geschichte überhaucht. Die vielen uralten Gemäuer und runden Steinhügel, die kleinen steinernen Mäuerchen, die sich durch die Wiesen und Felder zogen, vermittelten ihr den Eindruck, als sei hier die Zeit stehen geblieben.
Glen Ciorram schien am Ende der Welt zu liegen. Barri fuhr an einer aus grauem Stein erbauten katholischen Kirche vorbei. Nach einiger Zeit öffnete sich die Schlucht, durch die die Straße führte, und gab den Blick auf üppige, sanft gewellte Weiden frei, die im Licht der untergehenden Sonne orangerot schimmerten. Schmale, niedrige Steinmauern zogen sich auch hier kreuz und quer durch das Tal, das zur Linken von steilen, schroffen Granitbergen und zur Rechten von dicht bewaldeten Hängen eingeschlossen wurde. Die einspurige Straße schlängelte sich mitten hindurch. Endlich verrieten ein paar vereinzelte Häuser, dass sie sich dem eigentlichen Städtchen näherte.
Unmittelbar darauf fand sie sich in einem Kreisverkehr wieder, und jetzt wusste sie nicht, welche Richtung sie nun einschlagen sollte. Nach ein paar Runden fand sie ein Schild, das ihr den Weg zur Bog Road wies. Dort lag das Hotel, in dem sie ein Zimmer reserviert hatte.
Das Hotel Ciorram war im modernen Stil erbaut, wirkte aber trotzdem ziemlich heruntergekommen und verfallen. Bar-ris Zimmer war klein, der Wasserhahn am Waschbecken tropfte, und das Fenster neben dem Bett ließ sich nicht ganz schließen. Dafür bot sich ihr ein wundervoller Blick über den Loch Sgàthan. Die Oberfläche des Sees war spiegelglatt, und hinter ein paar Lagerhäusern konnte sie einen Teil einer auf einer kleinen Insel gelegenen alten Burg erkennen. Ein paar große weiße Vögel glitten majestätisch über das Wasser dahin. Erst nach einiger Zeit begriff Barri, dass es sich um Schwäne handelte. Ihr Herz begann schneller zu schlagen. Sie hatte noch nie zuvor einen Schwan in freier Natur gesehen. Ein Lächeln spielte um ihre Lippen, und plötzlich war ihr, als sei ihr eine Last von der Seele genommen worden.
Morgen würde sie weitersehen. Wenn sie schon nicht von einer hilfsbereiten Fee mittels magischer Tricks ins 18. Jahrhundert zurückgesandt wurde, wollte sie wenigstens mit dem Leiter der Stadtbibliothek sprechen, während sie hier war, einem Mann namens Ewan MacDonell. Cody hatte ihr erzählt, er habe ihr Kopien von Geburtenregistern und Sterbelisten geschickt, also bestand Hoffnung, auch Aufzeichnungen über Eheschließungen zu finden. Cody war in den Totenlisten nicht auf Dylans Namen
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