Die Rettung
»Ich habe mein ganzes Leben lang Geschichten über den Matheson-Clan gesammelt, die stehen bestimmt in keinem Buch. Kommen Sie.« Er deutete auf einen Fenstertisch. »Setzen Sie sich zu uns, und ich erzähle Ihnen alles, was ich über den Clan Ihres Mannes weiß.«
Barri holte ihre Diätcola und setzte sich zu dem Trio, das sich höflich vorstellte. Der Mann in der gelben Jacke hieß Dun-can MacGregor, der in der blauen Alastair Innis, und der Mann im Tweedjackett Fearghas Matheson.
Barri wünschte sich plötzlich weit weg. Doch dann schalt sie sich eine feige Närrin. Schließlich war sie ja eigens hergekommen, um solche alten Geschichten zu hören. Also nahm sie am Fenster Platz, um Fearghas zu lauschen.
Fearghas trank einen Schluck Ale, dann begann er mit einer Geistergeschichte. Sie handelte von einem weißen Hund, nach dem die Burg auf der Insel im See benannt worden war. Anscheinend waren dieser Hund sowie fast alle männlichen Mathesons im Tal im Kampf gegen den benachbarten MacDonell-Clan getötet worden, und der Geist des Hundes hatte den Tod seines Herrn gerächt, indem er allen MacDonells auf dem Rückweg in ihr eigenes Tal die Kehle durchgebissen hatte. Fearghas verlieh jeder Person in der Geschichte eine andere Stimme und beschrieb den Geisterhund so lebhaft und detailgetreu, dass Barri das große, zottige weiße Tier mit den bluttriefenden Lefzen geradezu leibhaftig vor sich sah.
Darauf folgte eine noch ältere Geschichte über einen Vorfahren der Mathesons, der Glen Ciorram ganz alleine gegen eine Wikingerbande verteidigt hatte. »Als er schließlich oben am Turm an seinen Wunden starb, tränkte sein Blut den Boden und färbte die Erde auf ewig rot«, schloss Fearghas dramatisch.
»Bis heute?«
Alle drei Männer nickten. »Aye«, bestätigte Fearghas. »Im Inneren des broch ist der Boden blutrot, und die Wurzeln des Grases auch. Ein unheimlicher Anblick.« Die anderen bekundeten murmelnd ihre Zustimmung.
»Haben Sie die blutige Erde selbst gesehen?«
Wieder nickten die Männer einhellig. Barri nahm an, dass sie ein wenig übertrieben, um ihr als einer Fremden etwas bieten zu können, bis Duncan sagte: »Ich habe auch mal den Hund gesehen. Das ist immer ein böses Omen. Als junger Mann bin ich über die Brücke zur Burg hinübergefahren, um dort etwas abzugeben, und da sah ich den Hund am Torhaus sitzen. Ich habe so einen Schreck bekommen, dass ich beinahe einen Unfall gebaut hätte. Das Biest drehte sich dreimal um die eigene Achse und legte sich dann mitten auf die Auffahrt, um seine blutige Schnauze abzulecken. Am nächsten Tag wurde mein Auto gestohlen.«
»Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?«
»O nein, das ist mein voller Ernst. Genauso war es.« Duncan nickte bekräftigend. Barri konnte noch nicht einmal den Anflug eines belustigten Lächelns auf seinem Gesicht erkennen. Als sie auf seinen Mund blickte, fiel ihr plötzlich auf, wie sehr seine volle Unterlippe der von Dylan ähnelte. Über sich selbst verärgert, schüttelte sie leicht den Kopf. In Schottland lebten über fünf Millionen Menschen; die Chance, dass einige davon eine ähnlich gezeichnete Unterlippe wie Dylan hatten, war also sehr groß.
Fearghas bedeutete dem Barkeeper, noch eine Runde Getränke zu bringen, dann erzählte er weitere Geschichten über den broch sidhe, was, wie er Barri erklärte, die gälische Bezeichnung für >Feenturm< war.
Barri spitzte die Ohren, als die Rede auf Sinann kam. Es sah so aus, als hätte die kleine Fee über Jahrhunderte hinweg ihre schützende Hand über die Mathesons gehalten. Sie hatte ihnen während einer Dürreperiode Regen geschickt, hatte verschiedenen Lairds in Kriegszeiten beigestanden und sogar einen verzauberten Gobelin als Geschenk in der Burg zurückgelassen.
»Woher wissen Sie denn, dass der Gobelin verzaubert ist?«
»Nun, weil er sozusagen aus dem Nichts aufgetaucht ist. Hing eines Tages einfach so im Arbeitszimmer des Lairds. In den Gobelin war das Abbild Donnchadh Mathesons eingewoben, des damaligen Lairds. Das muss so Anfang des achtzehnten Jahrhunderts gewesen sein.«
»Aus welchem Grund hat Sinann ihm denn den Gobelin geschenkt?«
Fearghas zuckte die Schultern. »Das weiß ich nicht. Kein lebender Mensch weiß es, schätze ich, nur die Fee selbst.«
Barri nickte und trank einen Schluck Cola. Da die Geschichten nach und nach immer unglaubwürdiger wurden, versuchte sie, das Gespräch auf Black Dylan zu bringen. »Es gibt da einen entfernten Cousin in der Familie,
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