Die Revolution der Ameisen
ihnen schließt, bevor der Mund mit Wasser überflutet wird.
Sobald die Schildkröte begreift, daß die Ameisen nicht ertrunken sind, sondern sich nun in ihrem Hals tummeln, schluckt sie Wasser, um sie in ihren Magen zu befördern, doch mittlerweile haben sich die Piraten schon in die Luftröhre gerettet, die allerdings so glatt ist, daß sie in die Tiefe stürzen und auf den Lungenlappen landen, die voller Giftstoffe sind.
Rasch führt Nr. 15, die sich im Innern großer Tiere hervorragend orientieren kann, ihre Gefährtinnen zum Herzen, und einige kräftige Mandibelbisse in den Herznerv genügen, um es zum Stillstand zu bringen. Durch die Luftröhre klettern sie dann wieder nach oben.
Beim Anblick der toten Schildkröte, die an der Wasseroberfläche treibt, hat Nr. 103 eine glorreiche Idee: Dieses Boot wäre wesentlich stabiler und sicherer als die Seerose. Gesagt, getan – die Ameisen steigen um. Geduldig bohren sie ein Loch in den Panzer, um eine Kajüte zu haben.
Zwischendurch stärken sie sich mit dem weißen Fleisch, denn die Arbeit ist sehr anstrengend. Endlich ist das Loch groß genug, um allen Platz zu bieten. Der Geruch nach Verwesung ist zwar nicht sehr angenehm, aber diesen Nachteil nehmen die Ameisen gern in Kauf.
Sie heuern neue Wasserkäfer an, die das schwere Gefährt steuern sollen, und um nicht einfach verspeist zu werden, strampeln die armen Insekten sich willig ab, zumal ihnen reichliche Verpflegung in Aussicht gestellt wird.
Auf diesem gepanzerten Kriegsschiff fühlen die Ameisen sich in Sicherheit, denn das gähnende Maul der toten Schildkröte verbreitet Angst und Schrecken und treibt alle potentiellen Angreifer in die Flucht.
96. ZWEITES KONZERT
»Sie sind jung, sie haben viel Schwung, und sie werden Sie auch heute mit ihren Rhythmen begeistern. Applaus für Schneewittchen und die Sieben …«
Der Direktor des Kulturzentrums hörte lautes Räuspern und drehte sich um. »Ameisen«, soufflierten alle. »Ach ja, entschuldigen Sie bitte«, sagte er, »unsere jungen Freunde haben ihrer Gruppe einen neuen Namen gegeben.
Also, Applaus für die ›Ameisen‹!«
David hielt seine Freunde in den Kulissen zurück.
»Langsam! Ein Auftritt ist um so wirkungsvoller, je länger man das Publikum warten läßt.«
Eine ganze Minute verging. Saal und Bühne waren dunkel.
Dann begann Julie a cappella zu singen, eine Melodie ohne Worte, aber ihre Stimme war so intensiv und ausdrucksstark, daß das Publikum den Atem anhielt.
Als sie verstummte, brach tosender Applaus los.
Nun erklang Ji-woongs Schlagzeug. Er schien den Herzschlag der Menge imitieren zu wollen. Pim, pam. Pim, pim, pam. Pim, pam, pim, pim, pam. 90 Schläge pro Minute, dann 100. Die Zuschauer klatschten im Rhythmus mit.
Zoés Baßgitarre schloß sich dem Schlagzeug an. Ein Scheinwerfer tauchte sie in blaues Licht, während Ji-woong von einem roten Scheinwerfer angestrahlt wurde.
Ein grüner Scheinwerfer zeigte Francine, die auf der Orgel die ersten Takte von Dvorâks Symphonie Aus der neuen Welt spielte.
Ein Geruch nach frisch gemähtem Gras verbreitete sich im Saal.
David hatte vorgeschlagen, mit einem klassischen Stück zu beginnen, um zu zeigen, daß man auch mit den alten Meistern vertraut war. Zunächst war eine Bachsche Fuge in Erwägung gezogen worden, dann hatten sie sich für die Neue Welt entschieden, weil der Titel so gut in ihr Programm paßte.
Von einem gelben Scheinwerfer angestrahlt, ließ Léopold seine Panflöte erklingen. Jetzt war fast die ganze Bühne hell beleuchtet. Nur die Mitte blieb dunkel, so daß Julie nur als vage Silhouette zu erkennen war.
Gegen Ende der Ouvertüre griff David mit seiner Harfe ins Geschehen ein, und allmählich verwandelte sich Dvorâks Melodie in etwas sehr Modernes, sehr Metallisches, in die ganz neue Symphonie der ganz neuen Welt.
Die Harfe bekam wieder Unterstützung von der Panflöte.
Flöte und Harfe – die beiden ältesten Instrumente. Irgendein prähistorischer Mensch hörte den Wind im Bambus pfeifen und erfand die Flöte, und ein anderer prähistorischer Mensch hörte das Schwirren seiner Bogensehne und erfand die Harfe.
Gemeinsam erzählten Flöte und Harfe die älteste Geschichte der Menschheit, und das Publikum fand großen Gefallen daran.
Endlich ergriff Julie das Wort. Immer noch fast unsichtbar, sagte sie:
»In einer Schlucht habe ich ein Buch gefunden …«
Ein Scheinwerfer richtete sich auf das riesige Buch hinter dem Orchester, und Paul wendete mit Hilfe
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