Die Revolution der Ameisen
sich an den Früchten am Baum, am warmen Regen auf dem Gesicht, am weichen Gras und der Sonne zu erfreuen. So war es einst im Paradies, und dieser Vollidiot Adam hat alles verdorben, nur weil er nach Erkenntnis strebte.
Man braucht kein Wissen, man soll nur genießen, was schon vorhanden ist.«
Julie schüttelte ihre nasse schwarze Haarmähne. »Alles verändert sich doch ständig, wird größer und komplizierter. Ist es nicht ganz normal, daß jede Generation es besser zu machen versucht als die vorangegangene?«
Maximilien beharrte auf seinem Standpunkt. »Weil man etwas ›besser machen‹ wollte, wurde die Atombombe und die Neutronenbombe erfunden. Ich bin überzeugt, daß es viel vernünftiger wäre, endlich mit diesem ›Besser machen‹
aufzuhören. Wenn alle Generationen es nur noch den vorangegangenen gleichtun wollten, würde endlich Friede herrschen.«
Ein leises »Bzzz« war zu hören.
»O nein, nicht auch das noch!« rief Maximilien und zog hastig seinen Schuh aus. »Nicht hier! Hast du Lust auf eine neue Tennispartie, du vermaledeites Insekt?«
Er fuchtelte mit dem Schuh in der Luft herum und griff sich plötzlich an den Hals. »Eins zu null für dich«, murmelte er, bevor er auf die Knie sank und ohnmächtig wurde.
David blickte verblüfft auf ihn hinab.
»Gegen wen hat er gekämpft?« fragte Julie.
Der Junge nahm dem Kommissar die Taschenlampe aus der Hand und strahlte seinen Kopf an. Ein Insekt spazierte auf der Wange herum.
»Eine Wespe!«
»Das ist keine Wespe, sondern eine fliegende Ameise. Und sie verhält sich so, als wollte sie uns etwas sagen.«
Das Insekt durchbohrte mit einem Mandibel die Haut des Polizeibeamten und schrieb langsam mit seinem Blut: Folgt mir!
Julie und David glaubten zu träumen, aber auf der Wange des Kommissars stand tatsächlich gekritzelt: Folgt mir.
»Einer Ameise folgen, die mit der Mandibel französisch schreiben kann?« fragte Julie skeptisch.
»In unserer Situation wäre ich sogar bereit, dem weißen Kaninchen aus Alice im Wunderland zu folgen«, meinte David.
Sie beobachteten das Insekt, das ihnen die Richtung weisen sollte, doch dazu kam das Insekt nicht mehr, denn eine häßliche Kröte voller Warzen sprang aus dem Wasser, ließ ihre lange Zunge vorschnellen und verschluckte die Ameise.
»Und wohin jetzt?« fragte Julie ratlos.
»Zu deiner Mutter?«
»Niemals!«
»Wohin dann?«
»Zu Francine?« »Ausgeschlossen. Die Bullen kennen bestimmt unsere Adressen und werden schon dort sein.«
Julie hatte einen Einfall. »Zum Philosophielehrer! Er hat mir einmal angeboten, daß ich mich bei ihm ausruhen könne. Er wohnt in der Nähe des Gymnasiums.«
»Einverstanden.«
Sie eilten den Weg zurück, den sie gekommen waren. Eine Ratte sprang erschrocken ins Wasser, um nicht zertreten zu werden.
170. ENZYKLOPÄDIE
Der Tod des Rattenkönigs: Einige Arten des ratus norvégiens praktizieren etwas, das Naturforscher ›die Wahl des Rattenkönigs‹ nennen. Die jungen Männchen duellieren sich einen ganzen Tag lang mit ihren scharfen Schneidezähnen. Die Schwächeren scheiden nach und nach aus, und schließlich stehen sich im Finale die beiden geschicktesten Kämpfer gegenüber. Der Sieger wird zum König bestimmt, weil er offensichtlich die fähigste Ratte des Stammes ist. Alle anderen huldigen ihm mit angelegten Ohren und gesenktem Kopf oder strecken ihm zum Zeichen der Unterwerfung ihr Hinterteil entgegen. Der König beißt sie in die Nase, um zu zeigen, daß er der Herrscher ist und ihre Unterwerfung akzeptiert. Man reicht ihm die beste Nahrung, man präsentiert ihm die wohlriechendsten Weibchen und reserviert ihm die bequemste Nische, damit er seinen Sieg feiern kann.
Doch kaum ist der König eingeschlafen, erschöpft von allen Genüssen, da vollzieht sich ein seltsames Ritual. Zwei oder drei der jungen Männchen, die sich unterworfen hatten, bringen ihn um und öffnen ihm den Schädel. Sie holen das Gehirn vorsichtig heraus und verteilen es an alle Stammesmitglieder.
Zweifellos glauben sie, daß auf diese Weise etwas von den besonderen Gaben des Königs auf sie übergehen wird.
Auch die Menschen lieben es, Könige zu krönen, nur um sie später mit wahrer Wonne umzubringen. Seien Sie deshalb vorsichtig, wenn man Ihnen einen Thron anbietet: Es könnte der des Rattenkönigs sein!
EDMOND WELLS,
Enzyklopädie des relativen und absoluten Wissens, Band III
171. TREIBJAGD
Vernichten!
Das Kommando greift die Gottgläubigen an. Prophetin
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