Die Revolution der Ameisen
gekämpft zu haben.
Durch einen Quergang gelangen sie zu einem anderen großen Saal, wo Ameisen mit aufgerichteten Fühlern aufmerksam einer Ameise lauschen, die auf einer Art Podium steht. Das muß der ›Saal der Prophetin‹ sein, von dem die Kriegerinnen schon gehört haben. Sie mischen sich unauffällig unter die Zuhörer. Die Predigerin ist natürlich Nr. 23, von allen Gläubigen ehrfürchtig
›die Prophetin‹ genannt. Sie predigt, daß irgendwo in der Höhe die riesigen Finger leben und daß diese Götter alle Handlungen der Ameisen überwachen und sie mitunter hart auf die Probe stellen würden, damit sie sich zum Glauben bekehren.
Das ist zuviel! Nr. 13 gibt ihren Kriegerinnen das Signal: All diese verrückten Gottgläubigen töten!
169. DIE VERFOLGUNG GEHT WEITER
Auch das Summen von Kinderliedern vermochte Julie nicht mehr aufzumuntern.
David und sie hörten plötzlich huschende Geräusche und sahen rote Punkte. Rattenaugen! Nach den Schwarzen Ratten nun auch noch die echten Nagetiere, die zwar viel kleiner, dafür aber zahlreicher waren.
Julie schmiegte sich an David. »Ich habe Angst.«
David schlug die Biester mit seiner Krücke in die Flucht, aber bevor sie sich von diesem Schreck erholt hatten, hörten sie erneut Geräusche.
»Diesmal sind es keine Ratten«, flüsterte David.
Lichtstrahlen huschten über die Wände. Die jungen Leute warfen sich flach auf den Boden.
»Ich glaube, dort hinten hat sich etwas bewegt!« rief eine Männerstimme.
»Sie kommen hierher! Jetzt bleibt uns nur noch eines übrig.«
David stieß Julie ins Wasser und folgte ihr.
»Ich glaube, leises Platschen gehört zu haben«, ertönte wieder jene tiefe Stimme.
Schwere Stiefel hallten auf dem Beton. Die Polizisten richteten ihre Taschenlampen auf das schmutzige Wasser.
David drückte Julies Kopf unter Wasser, und sie hielt notgedrungen die Luft an. Ein Rattenschwanz streifte ihr Gesicht. Sie hatte gar nicht gewußt, daß Ratten unter Wasser schwimmen können. Instinktiv riß sie die Augen auf. Im Schein der Taschenlampen konnte sie sehen, welch ekelhafte Brühe sie umgab.
»Warten wir noch ein wenig«, sagte einer der Polizisten.
»Wenn sie untergetaucht sind, werden sie bald Luft schnappen müssen.«
Auch David hatte die Augen geöffnet und machte Julie vor, daß man die Nase über Wasser halten konnte, ohne daß das übrige Gesicht zum Vorschein kam. Sie hatte sich oft gefragt, warum die Nase des Menschen wie ein Erker vorstand. Jetzt wußte sie es: um ihn in gefährlichen Situationen retten zu können.
»Wenn sie im Wasser wären, hätten sie längst auftauchen müssen. Niemand kann so lang die Luft anhalten. Das Platschen haben bestimmt die Ratten verursacht.«
Die Polizisten setzten ihren Weg fort, und als das Licht ihrer Taschenlampen kaum noch zu sehen war, tauchten Julie und David leise auf und atmeten begierig die stinkende Luft ein.
Plötzlich wurden sie von grellem Licht angestrahlt.
»Halt! Keine Bewegung!« befahl Kommissar Linart, Lampe und Revolver auf die beiden Revolutionäre gerichtet, während er näher kam. »Na, da hätten wir ja unsere Ameisenkönigin, Mademoiselle Julie Pinson höchstpersönlich!«
Er half seinen beiden Gefangenen, aus dem Wasser zu steigen. »Hände hoch, ihr Ameisenbewunderer! Ihr seid verhaftet.«
»Wir haben nichts Illegales getan«, protestierte Julie schwach.
»Das wird der Richter beurteilen müssen. In meinen Augen habt ihr ein Verbrechen begangen, indem ihr Chaos in eine wohlgeordnete Welt bringen wolltet. Das verdient eine harte Strafe.« »Aber wenn man die Welt nicht ein bißchen schüttelt, erstarrt sie und entwickelt sich nicht weiter«, sagte David.
»Und wer hat euch gebeten, sie zu schütteln? Leute wie ihr, die sich einbilden, die Welt verbessern zu können, lösen die schlimmsten Katastrophen aus. Das größte Unheil wurde immer von angeblichen Idealisten angerichtet. Im Namen der Freiheit oder Menschenliebe werden unbeschreibliche Greueltaten verübt.«
»Man kann die Welt auch gewaltlos verändern«, widersprach Julie, die unwillkürlich wieder in ihre Rolle als Revolutionärin schlüpfte.
Maximilien zuckte die Schultern. »Die Welt will nur, daß man sie in Ruhe läßt. Die Menschen möchten glücklich sein, und Glück gibt es nur, wenn sich nichts bewegt, wenn nichts in Frage gestellt wird.«
»Und wozu lebt man überhaupt, wenn man die Welt nicht verbessern will?«
»Ganz einfach, um sie zu genießen«, erwiderte der Kommissar. »Um
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