Die Revolution der Ameisen
Finger sogar die Brutkammern, ein Greuel sondergleichen!
Die Finger …
In Bel-o-kan wird erzählt, die Finger hätten vor nichts Respekt, nicht einmal vor den Königinnen. Sie verwüsteten alles. Man sagt, sie wären blind und würden aus Rache alle töten, die sehen können.
Die Finger … In allen Berichten werden sie übereinstimmend als riesige rosa Kegel beschrieben, ohne Augen, ohne Mund, ohne Fühler, ohne Beine. Große glatte rosa Kegel mit phänomenaler Kraft, die alles ermorden, was ihnen über den Weg läuft, und nichts davon fressen.
Die Finger …
Es wird behauptet, sie würden Ameisen, die sich zu dicht an sie heranwagen, ein Bein nach dem anderen ausreißen.
Die Finger …
Niemand weiß, was der Wahrheit entspricht, und was ins Reich der Legende gehört. In den Ameisenstädten haben sie tausend Beinamen: »rosa Todeskegel«, »harter Tod vom Himmel«, »Meister der Grausamkeit«, »rosa Grauen«,
»Schrecken, der zu fünft reist«, »Stadtzerstörer«,
»Unbenennbare« …
Die Finger …
Es gibt auch Ameisen, die glauben, daß es die Finger gar nicht gibt, daß die Ammen diese Greuelmärchen nur erzählen, um vorwitzigen Larven, die das Nest zu früh verlassen wollen, Angst einzujagen. Geht nicht nach draußen, dort wimmelt es von Fingern!
Wer hat das in seiner Kindheit nicht zu hören bekommen?
Und wer kennt nicht die Mythen von den heldenhaften Kriegerinnen, die auszogen, um mit bloßen Mandibeln gegen die Finger zu kämpfen?
Die Finger …
Die zwölf jungen Soldatinnen zittern allein schon beim Gedanken an diese Ungeheuer. Man sagt, sie hätten es nicht nur auf Ameisen abgesehen, sondern auf alle Lebewesen. Sie spießen Würmchen an Haken auf und hängen sie ins Wasser, bis sie von Fischen gefressen werden!
Die Finger …
Sie können angeblich in kürzester Zeit hundertjährige Bäume umwerfen, und sie reißen Fröschen die Hinterbeine aus und werfen sie dann verstümmelt in den Tümpel zurück! Und das ist noch lange nicht alles. Sie spießen Schmetterlinge auf, schlagen Mücken mitten im Flug tot, durchlöchern Vögel mit kleinen runden Steinen, zerquetschen Eidechsen zu Brei, ziehen Eichhörnchen das Fell ab, plündern die Bienenstöcke und ersticken Schnecken in grünem Fett, das nach Knoblauch riecht …
Die zwölf Ameisen betrachten Nr. 103 683, diese alte Kriegerin, die behauptet, sich den Fingern genähert zu haben und unversehrt davongekommen zu sein.
Die Finger …
Nr. 103 683 insistiert: Die Finger breiten sich immer mehr auf der Welt aus. Jetzt beginnen sie sogar schon den Wald heimzusuchen. Man darf sie nicht mehr ignorieren.
Nr. 5 bleibt mißtrauisch. Sie schwenkt ihre Fühler: » Warum sieht man sie dann nirgends?«
Die alte Ameise hat dafür eine Erklärung: »Sie sind so groß, daß sie dadurch unsichtbar werden.«
Den zwölf Kundschafterinnen verschlägt es die Sprache. Ob diese Greisin dummes Zeug schwafelt?
Die Finger sollen also tatsächlich existieren? Die Fühler der zwölf stehen still, ohne zu senden oder zu empfangen. Das alles hört sich so verrückt an. Die Finger existieren und schicken sich an, in den Wald vorzudringen? Sie versuchen vergeblich, sich das Ende der Welt und seine Wächter, die Finger, vorzustellen.
Nr. 5 fragt die alte Kundschafterin, warum sie nach Belokan zurückkehren wolle.
Nr. 103 683 antwortet, sie wolle alle Ameisen des Planeten informieren, daß die Finger immer näher kämen, daß bald nichts mehr so sein würde wie bisher. Sie sendet ihre überzeugendsten Moleküle aus, damit die anderen ihr glauben.
Die Finger existieren tatsächlich!
Sie beharrt darauf, daß man die Welt warnen müsse. Alle Ameisen müßten erfahren, daß irgendwo dort oben, über den Wolken versteckt, die Finger sie belauern und alles verändern wollen. Die zwölf sollten die Kommunikationsrunde wieder schließen, denn sie habe ihnen noch sehr viel zu erzählen.
Nach ihrer ersten Odyssee war sie in ihre Geburtsstadt Belokan zurückgekehrt und hatte der Königin von ihren Abenteuern berichtet. Zutiefst beunruhigt hatte diese beschlossen, zum Kreuzzug aufzurufen, um alle Finger von der Erdoberfläche zu tilgen.
In kürzester Zeit hatten die Belokanerinnen eine Armee von 3000 Ameisen aufgestellt. Doch der Weg war weit, und nur 500 erreichten das Ende der Welt. Dort kam es zu einer denkwürdigen Schlacht. Die Reste der glorreichen Armee kamen bei einem Seifenwassersturm ums Leben. Nr. 103 68\1 war eine der ganz wenigen – wenn nicht die einzige –
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