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Die Revolution der Ameisen

Die Revolution der Ameisen

Titel: Die Revolution der Ameisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Werber
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nicht mich selbst dauernd betrachten. Beim Autofahren muß man auch nach vorne schauen, wenn man Unfälle vermeiden will. Was Sie stört, ist doch im Grunde, daß ich viel zu … viel zu scharfsichtig bin. Deshalb reden Sie sich ein, ich wäre nicht normal. Dabei kommt Ihre Manie, jeden Satz mit ›nicht wahr?‹ zu beenden, mir krankhaft vor.«
    Ohne ihn zu Wort kommen zu lassen, fuhr sie fort: »Und dann die Einrichtung Ihres Sprechzimmers! Haben Sie jemals darüber nachgedacht? Dieses viele Rot, diese Gemälde, Möbel und roten Vasen! Sind Sie von Blut fasziniert? Und der Pferdeschwanz! Wollen Sie auf diese Weise Ihre femininen Neigungen demonstrieren?«
    Der Spezialist zuckte zusammen, und seine Lider flatterten.
    Eine Grundregel seiner Profession lautete: Man darf sich mit Patienten niemals auf Diskussionen einlassen. Er mußte dieser Julie schnell Einhalt gebieten. Sie wollte ihn aus dem Gleichgewicht bringen, indem sie seine eigenen Waffen gegen ihn richtete. Offenbar hatte sie tatsächlich einige psychologische Werke gelesen. Dieses viele Rot … es traf zu, daß er dabei an etwas ganz Bestimmtes dachte. Und sein Pferdeschwanz …
    Er rang um Fassung, aber seine Patientin ließ ihn nicht in Ruhe.
    »Im übrigen ist es bereits symptomatisch, wenn jemand sich für den Beruf des Psychotherapeuten entscheidet. Edmond Wells hat geschrieben: ›Schauen Sie sich an, für welche Fachrichtung sich ein Arzt entscheidet, und Sie werden erkennen, welche Probleme er selbst hat. Augenärzte tragen meistens Brillen, Hautärzte leiden häufig unter Akne oder Schuppenflechte, Endokrinologen haben hormonelle Probleme, und die Psychologen sind …‹«
    »Wer ist Edmond Wells?« fiel der Arzt ihr ins Wort, glücklich über diese Chance eines Themawechsels.
    »Ein Freund, der es wirklich gut mit mir meint«, erwiderte Julie trocken.
    Der Therapeut hatte sich wieder gefaßt. Seine professionellen Reflexe waren so tief verwurzelt, daß er sie jederzeit abrufen konnte. Schließlich war dieses Mädchen nur eine Patientin, und er war der Spezialist.
    »Und was sonst? Edmond Wells … Ist er mit H.G. Wells, dem Autor des Unsichtbaren Mannes verwandt?«
    »Nein. Mein Wells ist viel mächtiger. Er hat ein Buch geschrieben, das lebt und redet.«
    Der Arzt sah jetzt, wie er aus der Sackgasse herauskommen konnte, und ging auf Julie zu.
    »Und was erzählt dieses Buch, das ›lebt und redet‹?«
    Er stand jetzt so dicht vor Julie, daß sie seinen Atem spürte, und das haßte sie, ganz egal, um wessen Atem es sich auch handeln mochte. Sie wandte ihr Gesicht ab, so gut es ging, aber sein Atem roch aufdringlich nach Menthol.
    »Ich dachte mir doch von Anfang an, daß es in Ihrem Leben jemanden gibt, der Sie manipuliert und auf dumme Ideen bringt. Wer ist Edmond Wells? Kannst du mir sein Buch zeigen, das ›lebt und redet‹?«
    Der Psychologe wußte nicht mehr so recht, ob er sie duzen oder siezen sollte, aber allmählich bekam er die Zügel der Unterhaltung wieder in die Hand. Auch Julie bemerkte das und weigerte sich, das Wortgefecht fortzusetzen. Der Spezialist wischte sich den Schweiß von der Stirn. Je mehr diese kleine Patientin ihn herausforderte, desto schöner fand er sie. Sie war einfach erstaunlich, ein junges Mädchen, das sich wie eine zwölfjährige Range gebärdete, über die Selbstsicherheit einer dreißigjährigen Frau verfügte und offenbar sehr belesen war, was besonders charmant wirkte. Er verschlang sie mit den Augen. Widerstand reizte ihn immer, und alles an ihr war hinreißend – ihr Geruch, ihre Augen und Brüste … Es kostete ihn große Willenskraft, sie nicht zu berühren und zu liebkosen.
    Behende wie eine Forelle entfernte sie sich von ihm und blieb an der Tür kurz stehen, wobei sie herausfordernd lächelte.
    Sie vergewisserte sich durch Betasten, daß die Enzyklopädie des relativen und absoluten Wissens noch in ihrem Rucksack lag und setzte ihn auf. Hinter ihr fiel die Tür laut ins Schloß.
    Achille war ihr gefolgt. Draußen versetzte sie ihm einen leichten Tritt. Das würde ihn lehren, einen Gegenstand, auf den sie ihn aufmerksam machte, sofort zu attackieren und zu zerbrechen.
     

22. ENZYKLOPÄDIE
     
    Strategie der Unberechenbarkeit: Ein scharfer und logischer Beobachter ist in der Lage, jede menschliche Strategie vorherzusehen. Dennoch gibt es eine Möglichkeit, unberechenbar zu bleiben: Dazu braucht man nur einen Zufallsmechanismus in einen Entscheidungsprozeß einzuführen. Beispielsweise, indem man

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