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Die Revolution der Ameisen

Die Revolution der Ameisen

Titel: Die Revolution der Ameisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Werber
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der Therapeut. Das junge Mädchen mit den hellgrauen Augen betrachtete diesen massigen Mann, der immer ein wenig schwitzte und dessen schütteres Haar im Nacken zu einem Pferdeschwanz zusammengefaßt war.
    »Julie, ich möchte dir helfen«, versicherte er mit fester Stimme. »Ich weiß, daß du im tiefsten Innern deines Herzens sehr unter dem Tod deines Vaters leidest. Aber junge Mädchen sind nun einmal schamhaft, und deshalb traust du dich nicht, deinen Schmerz zu zeigen. Das mußt du aber, um dich davon befreien zu können. Andernfalls wird er wie bittere Galle in dir gären, und du wirst immer mehr leiden. Du verstehst mich, nicht wahr?«
    Schweigen. Das verschlossene Gesicht blieb ausdruckslos.
    Der Psychotherapeut erhob sich aus seinem Sessel und legte ihr seine Hände auf die Schultern.
    »Ich möchte dir helfen, Julie«, wiederholte er. »Es kommt mir so vor, als hättest du Angst. Du bist ein kleines Mädchen, das sich allein im Dunkeln fürchtet und beruhigt werden muß.
    Darin besteht meine Arbeit. Es ist meine Aufgabe, dir wieder Selbstvertrauen zu geben, deine Ängste zu beseitigen und dir zu ermöglichen, das Beste, was in dir schlummert, zu entwickeln, nicht wahr?«
    Julie gab dem Hund ein diskretes Zeichen, daß in der kostbaren chinesischen Vase ein Knochen versteckt sei. Achille betrachtete sie mit herabhängenden Lidern, ahnte, was sie ihm sagen wollte, traute sich aber nicht, in dieser fremden Umgebung Streifzüge zu unternehmen.
    »Julie, wir sind hier, um gemeinsam die Rätsel deiner Vergangenheit zu lösen. Wir werden nacheinander alle Episoden deines Lebens unter die Lupe nehmen, sogar jene, die du vergessen zu haben glaubst. Ich werde dir aufmerksam zuhören, und gemeinsam werden wir herausfinden, wie man die Geschwüre aufschneiden und die Wunden ausbrennen kann, nicht wahr?« Julie fuhr fort, den Hund unauffällig anzuspornen. Achille starrte abwechselnd Julie und die Vase an und versuchte, den Zusammenhang zu begreifen. Sein Hundegehirn war sehr verwirrt, denn er spürte, daß das Mädchen etwas sehr Wichtiges von ihm verlangte.
    Achille – Vase. Vase – Achille. Wo ist der Zusammenhang?
    Es ärgerte ihn oft, daß es ihm nicht gelang, die Zusammenhänge zwischen Dingen oder Ereignissen in der Menschenwelt zu erkennen. Beispielsweise hatte es sehr lange gedauert, bis er den Zusammenhang zwischen Briefträger und Briefkasten begriffen hatte. Warum füllte dieser Mann den Kasten mit Papier? Schließlich war ihm klar geworden, daß der törichte Kerl den Briefkasten für ein Tier hielt, das sich von Papier ernährte, und alle anderen Menschen ließen ihn gewähren, wahrscheinlich aus Mitleid.
    Doch was erwartete Julie jetzt von ihm? Der Setter kläffte.
    Vielleicht würde das ja genügen, um sie zufriedenzustellen.
    Der Psychotherapeut fixierte das Mädchen mit den hellgrauen Augen. »Julie, ich habe für unsere gemeinsame Arbeit zwei Ziele im Auge. Erstens – dir neues Selbstvertrauen zu geben. Zweitens wird es aber meine Aufgabe sein, dich Demut zu lehren. Selbstvertrauen ist sozusagen das Gaspedal der Persönlichkeit, Demut die Bremse. Von dem Moment an, wo man sowohl Gas als auch Bremse unter Kontrolle hat, ist man Herr seines Schicksals und kann die Straße seines Lebens perfekt nutzen. Das verstehst du doch, Julie, nicht wahr?«
    Julie blickte dem Arzt endlich in die Augen und verkündete:
    »Ihre Bremse und Ihr Gaspedal sind mir scheißegal! Die Psychoanalyse wurde doch nur ersonnen, um den Kindern zu helfen, sich von den verkorksten Schemata ihrer Eltern zu lösen, weiter nichts, und sogar das klappt bestenfalls in einem von hundert Fällen. Hören Sie endlich auf, mich wie eine dumme Göre zu behandeln. Ich habe genau wie Sie Freuds Einführung in die Psychoanalyse gelesen – und durchschaue Ihre psychologischen Tricks. Ich bin nicht krank, und wenn ich leide, so nicht infolge mangelnder Einsicht, sondern infolge zu großer Hellsichtigkeit. Ich habe durchschaut, wie veraltet, wie verkalkt, wie reaktionär diese Welt ist. Sogar Ihre sogenannte Psychotherapie wühlt doch nur in der Vergangenheit herum.
    Ich schaue aber nicht gern zurück. Auch beim Autofahren starre ich nicht ständig in den Rückspiegel!«
    Der Arzt war überrascht. Bisher war Julie immer fast stumm gewesen. Keiner seiner Patienten hatte sich je erlaubt, ihn so direkt anzugreifen.
    »Ich sage nicht, daß du nach hinten schauen sollst. Ich sage, du sollst dich selbst genau betrachten, nicht wahr?«
    »Ich will auch

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