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Die Revolution der Ameisen

Die Revolution der Ameisen

Titel: Die Revolution der Ameisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Werber
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Fabeln mit der Wirklichkeit zu tun haben.‹« Der Fahrer lachte schallend über seinen eigenen Witz.
    Julie verzog höflichkeitshalber leicht die Mundwinkel und dachte insgeheim, daß die Leute immer öfter Witze erzählten, um keine echten Dialoge führen zu müssen. Auch das war symptomatisch für den geistigen Niedergang.
    »Wollen Sie noch einen hören?« Ohne Julies Antwort abzuwarten, legte der Fahrer wieder los.
    Die Hauptstraße von Fontainebleau wurde von demonstrierenden Landwirten blockiert, die höhere Subventionen und ein Importverbot für ausländisches Fleisch verlangten. »Retten wir die französische Landwirtschaft!« und »Tod allen importierten Schweinen!« stand auf ihren Transparenten.
    Die Männer hatten einen Lastwagen gestoppt, der Schweine aus Ungarn transportierte; sie begossen die Käfige der Tiere mit Benzin und warfen brennende Streichhölzer hinein. Die Schreie der Schweine, die bei lebendigem Leibe verbrannten, waren grauenhaft. Julie hätte nie gedacht, daß ein Tier fast wie ein Mensch schreien könnte. Und auch der Gestank verbrannter Haut war grauenhaft. In ihrer Todesstunde schienen die Schweine ihre Verwandtschaft mit den Menschen demonstrieren zu wollen.
    Julie fiel plötzlich ein, daß der Biologielehrer einmal gesagt hatte, das Schwein sei das einzige Tier, das sich für eine Organtransplantation auf den Menschen eigne. Den Tod dieser unbekannten Verwandten mitansehen zu müssen, war einfach unerträglich. Die Schweine schienen ihr flehende Blicke zuzuwerfen. Ihre Haut war rosig. Ihre Augen waren blau.
    Julie warf dem Taxifahrer einen Geldschein hin, stürzte aus dem Wagen und flüchtete zu Fuß.
    Völlig atemlos erreichte sie das Gymnasium und hoffte, im Musikraum verschwinden zu können, bevor jemand sie sah.
    »Julie! Was machen Sie denn heute morgen hier? Ihre Klasse hat doch gar keinen Unterricht.«
    Dem Philosophielehrer war das rosa Nachthemd, das unter dem langen Mantel hervorlugte, nicht entgangen. »Sie werden sich erkälten.«
    Er schlug ihr vor, etwas Heißes in der Cafeteria zu trinken, und weil ihre Freunde sowieso noch nicht da waren willigte sie ein.
    »Sie sind nett, ganz anders als die Mathelehrerin, die mich immer fertigmachen möchte.«
    »Wissen Sie, Julie, wir Lehrer sind Menschen wie alle anderen auch. Es gibt nette und weniger nette, intelligente und weniger intelligente, freundliche und weniger freundliche. Das Problem besteht darin, daß Lehrer tagtäglich die Gelegenheit haben, mindestens dreißig junge Leute zu beeinflussen, und das ist eine enorme Verantwortung. Wir sind sozusagen die Gärtner der Gesellschaft von morgen, verstehst du?«
    Er ging plötzlich dazu über, sie zu duzen.
    »Ich für meine Person hätte Angst, Lehrerin zu sein«, sagte Julie. »Wenn ich sehe, wie die Deutschlehrerin sich schikanieren läßt, läuft es mir immer kalt über den Rücken.«
    »Du hast recht. Wenn man unterrichten will, muß man nicht nur sein Fach beherrschen, sondern sollte auch ein guter Psychologe sein. Unter uns gesagt – ich glaube, allen Lehrern ist bei dem Gedanken, vor einer Klasse stehen zu müssen, etwas mulmig zumute. Deshalb tarnen sich manche mit Autorität, andere tun so, als wären sie allwissend, und wieder andere – darunter ich – spielen den Kumpel.«
    Er schob seinen Plastikstuhl zurück und holte einen Schlüsselbund aus der Tasche. »Ich muß jetzt unterrichten, aber wenn du dich ein wenig ausruhen und frischmachen möchtest, kannst du das gern in meiner Wohnung tun. Ich wohne gleich dort drüben, in dem Eckhaus, dritter Stock links.
    Wenn man von zu Hause ausgerissen ist, braucht man irgendeinen Ruhepol.« Sie lehnte sein Angebot dankend ab. Ihre Freunde von der Rockgruppe müßten bald hier sein, und sie würden sie bestimmt gern beherbergen.
    Der Lehrer betrachtete sie wohlwollend, und sie hatte das Gefühl, ihm seine Freundlichkeit irgendwie vergelten zu müssen. Ohne ihr Gehirn einzuschalten, stammelte sie: »Das Feuer im Müllcontainer … das habe ich gelegt!«
    Dieses Geständnis schien den Lehrer nicht allzusehr zu schockieren. »Mmmm … du handelst kurzsichtig. Die Schule ist doch nur ein Mittel zum Zweck, und du solltest dich ihrer aktiv bedienen, anstatt sie passiv zu erdulden. Dieses Schulsystem soll euch doch helfen, stärker, selbstbewußter und kritischer zu werden. Du hast Glück, dieses Gymnasium besuchen zu dürfen. Es bereichert dich, auch wenn du dich hier nicht wohl fühlst. Und es ist ein großer Fehler,

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