Die Riesen von Ganymed
anderes handeln. Schicht auf Schicht, Etage über Etage verschmolzen Wolkenkratzer, Terrassen, schwebende Rampen und freischwebende Brücken zu einer phantastischen kompositorischen Struktur, die in kühnem, den Gesetzen der Schwerkraft spottendem Aufschwung himmelwärts schnellte. Die gesamte Konstruktion mochte von einem unendlich geschickten kosmischen Künstler aus einem einzigen Monolithen aus gleißendem Marmor erschaffen worden sein, und dennoch schien es Teile zu geben, die abgesondert von alledem wie Inseln aus Elfenbein in der Luft schwebten. Nur ein Wissen, das dem des Menschen weit im voraus gewesen war, hatte ein derartiges Meisterstück erschaffen können. Auch hier schien es sich um einen Bereich ganymedischer Wissenschaft zu handeln, den sich die Forscher der Erde erst noch untertan machen mußten.
»Das ist die Shapieron , wie sie vor unserem Abflug aussah«, informierte ihn ZORAC. »Auch die beiden anderen Schiffe, die sie begleiteten, sind im Bild. Der Ort im Hintergrund wurde Gromos genannt. Ich kenne den Namen eines Ortes nicht, der gebaut wurde, damit viele Ganymeder in ihm leben.«
»Eine Stadt«, half ihm Hunt, der sich dabei jedoch des Gefühls immenser Unzulänglichkeit des Begriffes bewußt war. »Waren die Ganymeder vernarrt in ihre Stadt?«
»Wie bitte?«
»Liebten sie ihre Stadt? Wünschten sie sich sehnlichst, wieder daheim zu sein?«
»O ja, sehr. Die Ganymeder liebten alle Dinge auf Minerva. Sie liebten ihre Heimat.«
ZORAC schien über ein stark entwickeltes Gespür für den Zeitpunkt zu verfügen, an dem weiterreichende Informationen notwendig waren. »Als sie den Stern verließen, wußten sie, daß ihre Heimreise lange dauern würde. Sie erwarteten nicht, daß alle Dinge unverändert wären. Aber sie erwarteten nicht, daß es ihr Zuhause nicht mehr gab. Sie sind sehr traurig.« Hunt hatte bereits genug gesehen, um das zu wissen. Bevor er eine weitere Frage stellen konnte, sprach ZORAC erneut.
»Geht es in Ordnung, wenn ich Fragen stelle, die sich nicht auf Englisch beziehen?«
»Na gut«, antwortete Hunt. »Was willst du wissen?«
»Die Ganymeder sind sehr unglücklich. Sie glauben, daß die Erdbewohner Minerva zerstört haben. Ist das wahr, und wenn ja, warum haben sie den Planeten zerstört?«
»Nein!« Hunt reagierte instinktiv und schnellte hoch. »Nein. Das ist nicht wahr. Minerva wurde vor fünfzigtausend Jahren zerstört. Damals gab es noch keine Menschen auf der Erde. Wir kamen erst später.«
»Haben dann die Lunarier Minerva zerstört?« fragte ZORAC. Offenbar hatte er bereits das gleiche Thema bei anderen auf der Jupiter Fünf angeschnitten.
»Ja. Wieviel wißt ihr über sie?«
»Vor fünfundzwanzig Millionen Jahren brachten die Ganymeder Formen irdischen Lebens von der Erde nach Minerva. Kurze Zeit später starben die Ganymeder und alle eingeborenen Lebensformen Minervas, die Landbewohner waren. Die von der Erde stammenden Arten starben nicht. Die Lunarier entwickelten sich aus ihnen und sahen aus wie die heutigen Erdenmenschen. Andere Wissenschaftler an Bord der Jupiter Fünf haben mir das erzählt. Mehr weiß ich nicht.«
Dieser Bericht gab Hunt über etwas Aufschluß, das er zuvor nicht erkannt und über das er in der Tat nicht nachgedacht hatte. Noch bis vor wenigen Stunden hatte ZORAC anscheinend auch nicht einen Schimmer von Ahnung gehabt, daß die Ganymeder gewaltige Mengen irdischer Tierarten auf ihren Planeten transportiert hatten. Nur um sicherzugehen, stellte er eine weitere Frage. »Bevor ihr zu diesem Stern aufgebrochen seid, hatten die Ganymeder doch noch kein irdisches Leben nach Minerva gebracht?«
»Nein.«
»Weißt du, ob sie diese Absicht hegten?«
»Wenn ja, wurde ich niemals davon in Kenntnis gesetzt.«
»Könntest du dir irgendeinen Grund vorstellen, warum sie daran interessiert waren?«
»Nein.«
»Was immer es war, es muß sie erst später gejuckt haben.«
»Wie bitte?«
»Der Grund dafür muß erst aufgetaucht sein, nachdem ihr Minerva verlassen hattet.«
»Ich glaube, der Ausdruck lautet: ›Ich nehme es an‹. Ich kann keine Alternative ausfindig machen.«
Hunt erkannte mit wachsender Erregung, daß das Geheimnis um das weitere Schicksal der ganymedischen Zivilisation eine Herausforderung an beide Rassen darstellte. Ganz gewiß, dachte er, würde ihr gemeinsames Wissen schon die Antworten bereitstellen. Er beschloß, daß es an der Zeit sei, die Geschichte der Lunarier zum Nutzen ZORACs zu vervollständigen – die
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