Die Riesin Arachna
mich – ich bin es, der Jäger Arkado! Die Riesin neben mir ist nicht Karena, sondern unsere neue Herrin Arachna. Sie hat den Großen Riesenschwur geleistet und wird uns beschützen, wenn wir fortan ihr anstatt Karena dienen.«
Antreno spähte ungläubig durchs Guckloch. Tatsächlich, da draußen stand, heil und unversehrt, der Jäger. Die beiden Stammesältesten hatten in den letzten Tagen oft von ihm gesprochen und schon fast die Hoffnung aufgegeben, ihn jemals lebend wiederzusehen.
Das Tor fuhr quietschend auf. Arkado fand sich in den Armen seiner Gefährten wieder, die ihn ungestüm an sich drückten und mit Fragen überhäuften. Wieviel hatte sich doch seit jener nächtlichen Zusammenkunft ereignet, als sie die Verschwörung gegen die Hexe vorbereiteten! Das Leben nicht nur der Taureker hatte sich grundlegend verändert, sondern alles ringsum. Da war plötzlich Arachna an die Stelle ihrer Mutter getreten und hatte den Großen Schwur geleistet. Es gab offenbar noch richtige Wunder.
Die Riesin ihrerseits betrachtete neugierig die seltsame Mühle und die Ansammlung dieser winzigen Menschlein. Dann verließ sie ihren Fliegenden Teppich, schritt zu dem Wasserfall, bemüht, dabei nicht versehentlich auf eines der quirligen Wesen zu treten, und begann sich unter wohligem Ächzen zu waschen. Um sie her bildete sich sogleich eine große schmutzige Pfütze, die in dem Maße schlammiger wurde, wie die Frau den Dreck abspülte. Schließlich erinnerte die Pfütze an einen Sumpf, vor den Taurekern aber stand ein verhältnismäßig sauberes großes Weib, das im Vergleich zu Karena sogar einigermaßen hübsch war.
Zwei Dutzend Frauen aus der einstigen Schloßdienerschaft eilten mit einem Tablett herbei, auf dem sie ein Salzfaß und viele Brote trugen, um den Neuankömmling nach altem Brauch willkommen zu heißen. Ungefähr hundert Männer aber legten der Riesin ehrerbietig ein Kleid Karenas zu Füßen, das sie aus dem Schloß mitgenommen hatten, um bei Bedarf neue Sachen für die Zwerge daraus zu schneidern.
Arachna lächelte zufrieden. Nicht übel, so verwöhnt zu werden, dachte sie, man braucht ja nur ein bißchen freundlich zu sein. Ich werde die Zwerge mit auf den Fliegenden Teppich nehmen und so weit fortsegeln, daß meine Mutter mich nicht mehr wiederfindet. Die Riesin konnte ja nicht wissen, daß Karena in die Staubschlucht gestürzt war.
Mit einer Handbewegung scheuchte sie ihre neuen Diener ins Haus, damit sie sich umziehen konnte. Dann rief sie, ohne noch Zeit mit unnützen Gesprächen und Verhandlungen zu vergeuden, mit lauter Stimme, so daß es in jedem Winkel der Mühle zu hören war:
»Also gut, ihr Zwerge! Ich habe geschworen, euch zu behüten und kein Leid anzutun, aber auch ihr habt einen Eid geleistet! Nun denn, ihr gefallt mir, und ich bin gewillt, euch in ein fernes Land mitzunehmen. Es geht eine Sage darüber, und obwohl niemand von uns je dort war, bin ich sicher, daß es existiert. In diesem Reich soll es eine freundliche Sonne, grüne Wälder, blaue Berge und saftige Wiesen geben. Es heißt Zauberland, und wenn wir es erreichen, erwartet uns ein glückliches Leben. Macht euch also bereit zum Aufbruch. Packt nur das Nötigste zusammen, auf dem Teppich ist nicht unbegrenzt Platz! In einer Stunde starten wir!«
Unterdessen hatte Arkado den Freunden von seinen Erlebnissen berichtet. Antreno und Kastao lobten ihn für seine List und Tapferkeit, doch mitten in ihr Gespräch hinein ertönte die Donnerstimme ihrer neuen Herrin. Die drei tauschten einen kurzen Blick und sagten seufzend:
»Was hilft’s, wir müssen tun, was sie verlangt. Schlimmer als hier kann es in diesem Zauberland nicht sein.«
Eine Stunde danach fanden sich alle Zwerge bei Arachna ein, die bereits auf ihrem Fliegenden Teppich thronte. Der wertvolle Vorleger erinnerte jetzt an die berühmte Arche Noah, denn die Taureker hatten ihr ganzes Vieh mitgebracht: Kühe und Pferde, Katzen und Hunde, Hühner und Enten.
»Auf ins Zauberland!« befahl Arachna dem Teppich, als die Zwerge sich eingerichtet hatten, so gut es eben ging.
Ein Zittern lief durch den Teppichkörper, er spannte sich und hob mit sichtlicher Mühe vom Boden ab. Die Zwerge atmeten erleichtert auf.
Arachna gab dem Teppich keine Befehle mehr, sie war selbst gespannt, ob er sie in das Land bringen würde, von dem manchmal die Alten gesprochen hatten und das sehr schön sein mußte. Sie wußte nicht mehr, daß sie selbst schon dort gelebt und seine Bewohner zu unterwerfen
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