Die Ringe der Macht
wendete, schossen ihm die Tränen in die Augen beim Anblick des Siegels, das einen stilisierten Vogel mit einer Feder im Schnabel zeigte, umgeben von der Umschrift Adrñs Eremophilvs Mag – das Siegel Magister Adrion Lerchs.
Mit zitternden Händen erbrach Kim das Siegel und schlug den Brief auseinander. Ein Blatt Pergament fiel heraus, und er bückte sich, um es aufzuheben. Irgendwie war er enttäuscht. Es waren keine persönlichen Zeilen Magister Adrions, sondern das Gedicht über die sieben Zauberringe, das er schon kannte. Kim wendete das Blatt und starrte auf eine Karte von Elderland.
Es musste eine sehr alte Karte sein; denn die Tinte war verblichen und die Schrift in einer Weise geschwungen und verschnörkelt, wie man es heutzutage nicht mehr kannte. Sie zeigte nicht nur das Innere des Landes mit seinen Flüssen, Städten und Regionen, sondern auch das umgebende Gebirge, in einer Deutlichkeit, wie Kim dies noch nirgendwo zuvor gesehen hatte. Sein Blick folgte dem Weg, den seine Gefährten und er gegangen waren. Selbst der Steig war eingezeichnet, mit einer dünnen, gestrichelten Linie, die am Gipfel des Arianreth vorbei nach Süden führte. Und auf der Passhöhe, die nun von Schneemassen verschüttet war, markierte ein Stern die Stelle, wo einst ihre Vorfahren den ersten Blick auf die grünen Hügel, Wälder und Auen von Elderland geworfen hatten …
»Was soll das?«, fragte Fabian, der ihm über die Schulter gesehen hatte.
»Ich weiß es nicht«, sagte Kim. »Keine Ahnung.« Er wollte das Blatt schon weglegen, als ihm etwas auffiel, das er noch auf keiner Karte des Landes gesehen hatte. In der Nähe des Steigs, dort, wo sie Gregorin gefunden hatten, befand sich ein seltsames Symbol, eine Zwergenglyphe.
»Schau, sagte er, »da ist etwas eingezeichnet.«
»Jetzt müssten wir Burin hier haben«, seufzte Fabian. »Jetzt würde er hier gebraucht.« Er hatte den Groll über ihre Versetzung ins Elderland offensichtlich immer noch nicht ganz verwunden.
»Es ist ein ›D OR ‹, verschlungen mit einem ›A NG ‹«, sagte Kim. »Und ich kann mir denken, was es heißt. Erinnerst du dich an den Wegstein auf der alten Zwergenstraße. Dorak Angrimur, das Tor der Welten. Es muss das Tor zur Untererde sein, durch das Meister Gregorin gekommen ist.«
»Aber wieso findet sich dasselbe Zeichen auch hier?«, fragte Fabian und deutete auf eine Stelle nordöstlich von Gurick, am Kopf eines langgezogenen Tales, wo die Höhen sich zu den Gipfeln des Felsengebirges aufzuschwingen begannen.
Die beiden Freunde sahen sich an. In diesem Augenblick erkannte Kim, was diese Symbole zu bedeuten hatten, und auch das Verhalten der Dunkelelben ergab plötzlich einen Sinn.
Fast hätte er laut aufgeschrien.
»Es ist alles so einfach«, sagte er. »Dieses hier ist das erste Tor in die Untererde«, dabei deutete Kim auf das Symbol am Steig. »Und hier, inmitten des Tals unterhalb der Berge, ist das zweite. Und genau dahin wollen die Dunkelelben mit ihrem Heer. Sie wollen gar nicht ins Imperium. Ihre Pläne sind ehrgeiziger geworden. In den Schattenkriegen wollten sie die Mittelreiche. Diesmal wollen sie das letzte Geheimnis des Lebens ergründen, das sie magisch anzieht, seit sie die Überwelt verließen. Sie ziehen gegen die Untererde!«
Fabian war sprachlos. Dann fluchte er kurz, aber laut, sodass alle Gespräche im Ratssaal verstummten. Für einen Augenblick geriet die hektische Betriebsamkeit ins Stocken, aber nicht für lange. Dann summte es wieder wie im Bienenstock.
»Das erklärt einiges«, sagte Fabian.
Diesmal war es an Kim, seinen Freund sprachlos anzustarren.
»Seit ich diesen Aufmarsch hier im Norden gesehen habe«, sagte Fabian, »frage ich mich, was Azanthul, der Anführer des Schattenheeres, mit einem kleinen Häuflein Bolgs in den Bergen zu suchen hatte. Wir hatten geglaubt, er sei uns gefolgt. Aber ich denke, er hat uns nur benutzt, damit wir den Weg für ihn aufspürten. In Wirklichkeit wollte er das Weltentor erreichen. Aber das Eintreten von Magister Adrion, der die Brücke zerstörte, und Azanthuls eigene List, als er den Schneesturm gegen uns sandte, hat ihm jede Möglichkeit genommen, das Tor je zu finden. Also konzentriert er jetzt seine ganze Macht auf den Norden.«
»Und was können wir tun?«, fragte Kim.
»Nichts, außer ihnen einen großen Kampf zu liefern und auf die Legionen zu hoffen …«
Kim sah Fabian entsetzt an. Er erkannte, was der Prinz vorhatte. Er wollte sich den Dunkelelben mit der
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