Die Ringe der Macht
»Was?« Fabian fuhr herum.
»Ja, es gibt noch einen Weg. Durch die Sümpfe …« Es war Marina.
»Aber niemand kennt den Weg durch die Sümpfe«, wandte Kim ein, der sich bei dem ganzen Gerede von Macht und Magie inzwischen recht verloren vorkam.
»Doch«, sagte Marina. »Die Sumpflinge. Sie kennen jeden Weg.«
»Aber woher kennst du …?«, begann Magister Adrion verwundert, ehe ihm selbst die Antwort kam: »Natürlich! Deine Familie kommt aus der Gegend von Winder, am Rande des Sumpflandes. Jetzt verstehe ich.«
»Wir haben oft mit den Sumpflingen Handel getrieben«, erklärte Marina schüchtern. »Ich kenne die Losungsworte. Die Legende berichtet von einem Schamanen, der durch die Sümpfe zieht und der einen Pakt zwischen Ffolk und Sumpflingen geschlossen hat. Aber ich müsste natürlich mitgehen. Sie trauen nicht jedem.«
»Das ist viel zu gefährlich«, widersprachen Fabian und der Magister wie aus einem Munde.
»Ich werde auch mitgehen«, sagte der Elbe, »um die Maid zu beschützen.«
»Ich hasse Sümpfe«, knurrte Burin, »aber ich komme natürlich auch mit. Eine kleine Frau lässt man nicht allein.«
In diesem Augenblick erwachte in Kimberon Veit etwas, von dem er nie geglaubt hatte, dass er es auch nur andeutungsweise besäße. Hatte er sich doch, als ihn der Ruf des Magisters erreichte, darauf eingestellt, ein ruhiges Leben in seiner altvertrauten Umgebung zu verbringen, nur seinen Forschungen und gelegentlichen Pflichten gewidmet, um geachtet und geschätzt wie Magister Adrion in Ehren zu ergrauen, wie es einem Kustos des Ffolksmuseums gebührte. Doch jetzt hatte ihn die Vergangenheit eingeholt wie eine alte Prophezeiung auf den Seiten eines Buches, die sich plötzlich als wahr erwies, nicht mehr nur eine Schrift auf Pergament war, sondern lebendige Gegenwart.
Ihm war, als sei er selbst in eine Geschichte geraten; als sei nun der Punkt gekommen, wo er sich entscheiden musste, in den Text einzutreten oder nur eine Figur am Rande zu bleiben, in den Marginalien, über die man hinwegsieht, weil das eigentliche Geschehen daran vorbeigeht.
Und ihn überkam mit einem Male die Idee, wie eine Vision, dass viele in der Geschichte seines Volkes einmal an einen solchen Punkt gelangt waren, sei es, dass sie sich entschlossen hatten, die beschwerliche Reise über den Berg zu wagen oder sich in schwankenden Booten dem Meer anzuvertrauen – oder einfach nur die Freunde in der Not nicht im Stich zu lassen, wie sein Vater einst …
»Auch ich werde mitkommen«, hörte er sich sagen. »Immerhin ist unser Land besetzt, und es sollte bei diesem Unternehmen auch ein offizieller Vertreter des Ffolks dabei sein.«
Er wunderte sich über sich selbst. Eigentlich hatte er während des ganzen Gespräches vorgehabt, den anderen zu erklären, dass er sie nicht begleiten könne, weil seine Pflicht doch hier lag, wo er zusammen mit dem Juncker von Gurick-auf-den-Höhen die Ffolkswehr mobilisieren musste. Es herrschte Krieg, ein fremdes Heer war in Elderland einmarschiert, Mord und Totschlag drohten, Plünderung, Brandschatzung. Die Vorstellung reichte nicht aus, sich die Möglichkeiten auszumalen. Und nun hörte er sich selbst gänzlich unverständliche Dinge sagen.
»Gut, dass du mitgehst, Kim. Wir werden einen Sprecher im Imperium brauchen. Und wer weiß, wozu es sonst noch dienen könnte«, sprach Adrion Lerch.
»Aber …«, Kim wollte fragen, was der Magister damit meinte, doch in der allgemeinen Hektik kam er nicht mehr dazu. Überhaupt hatte sein alter Freund und Mentor schon den ganzen Abend merkwürdige Dinge getan und gesagt. Er hatte den Elben am Fluss gefunden; was hatte er dort mit Pferd und Wagen gesucht? Magister Adrion schien mehr zu wissen, als er zuzugeben bereit war. Und Kim hatte noch viele Fragen.
Aber gleich darauf wurde all seine Aufmerksamkeit von anderen Dingen in Anspruch genommen; denn Magister Adrion wies ihn darauf hin, dass er Botschaften hinterlassen müsse, Marina Anweisungen geben sollte, was er noch zu packen habe, und noch tausend Dinge mehr, die vor dem Aufbruch erledigt werden mussten.
»Beeil dich, Kim!«, rief ihm Fabian nach. »Wir dürfen keine Zeit verlieren. Es mag sein, dass die Dunkelelben Gilfalas’ Spur wieder aufnehmen. Und einen Kampf in den Gassen von Aldswick kann sich keiner wünschen.«
Kim nickte und beeilte sich. So gut er konnte, ordnete er in aller Eile seine Papiere, bereitete eine Nachricht an den Bürgermeister vor und eine für den Juncker und legte sie
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