Die Ringe der Macht
Mann, der seine Aufgabe erfüllt hat, diesen Gefallen.«
Kim durchzuckte ein ungewisser Schmerz. Diese Worte klangen nach einem endgültigen Abschied, und er liebte den alten Ffolksmann, wie er seinen Vater geliebt hatte.
Und so steckte er sich wortlos den Ring an, umarmte den Magister und nahm Abschied von ihm.
»Wie lange dauert das denn noch?«, kam die ungeduldige Stimme Burins von draußen. Kim nahm seine Sachen, und dann ging alles ganz schnell. Der Zwerg stand allein in der Eingangstür. »Komm, die andern sind schon vorgegangen!«
Die Nachtluft, vom Regen reingewaschen, war wie ein nasses Spültuch im Gesicht. Burin und Kim rannten durch den aufspritzenden Matsch, dorthin, wo sie das helle Haar des Elben und die dunklere Gestalt Fabians gerade noch in der Dämmerung ausmachen konnten, Marina ein kleinerer Schatten an ihrer Seite.
Es geht alles viel zu schnell, dachte Kimberon. Das Abenteuer hatte begonnen, und er war schon mittendrin, ehe er sich’s versah. Und er hatte kein einziges Buch zum Lesen mitgenommen …
Magister Adrion Lerch blieb allein zurück und sah, wie die Gemeinschaft in der Dunkelheit verschwand. Es hatte aufgehört zu regnen. Der weiche Boden dämpfte jeden Tritt, und Nebel, der vom Fluss heraufzog, verschluckte die Gestalten. Bei diesem Wetter war Marina die ideale Führerin.
Adrion Lerch lächelte. Als er seinerzeit endlich den Schlüssel zur Deutung der alten Schriften gefunden hatte, war er darangegangen, alle nötigen Vorkehrungen für diesen Abend zu treffen. Er hatte – ohne recht zu wissen, zu welchem Zweck – nach jemandem wie Marina gesucht, der sich in Elderland und den Sümpfen auskannte.
Und seit drei Nächten hatte er den Strand des Elderflusses abgesucht, um den Vertreter des Elbenvolkes zu finden, der die Gemeinschaft vervollständigen sollte. Von diesem Punkt an verdunkelten sich die Prophezeiungen, weil jetzt alles in den Händen der Gefährten lag, deren Taten über das Schicksal der Welt entscheiden mussten.
Seine Rolle war beendet. Er hatte den Ring, der im Ffolk seit undenklichen Zeiten vom Kustos des Museums gehütet wurde, weitergegeben. Jetzt war es an dem jungen Kimberon, herauszufinden, welcher Sinn und Zweck diesem Erbe innewohnte.
Der Magister ging ins Haus zurück und löschte alle Lampen bis auf das Licht in der Diele und in der Bibliothek. Er würde nun wieder das Amt des Kustos verwalten, so lange, bis Kim zurückgekehrt oder die Welt im Chaos versunken war.
Adrion Lerch setzte sich in einen bequemen Lehnstuhl im Kaminzimmer des Kustos und begann zu lesen. Doch er konnte sich nicht auf das Geschriebene konzentrieren. Die Buchstaben verschwammen vor seinen Augen, und die Gedanken schweiften ab.
Sein Zögling, der ihm wie ein eigener Sohn geworden war, ging nun auf ein Abenteuer, auf das er nicht vorbereitet war – wie keiner von denen, welche nun auf Pfaden wandelten, die ihnen seit langer Zeit bestimmt waren. Der Magister hätte viel darum gegeben, Kimberon die Last nehmen zu können, die auf seinen Schultern ruhte.
Er seufzte und zapfte sich noch ein Bier, als es an der Tür klopfte.
Der alte Ffolksmann atmete tief durch und ging in die Diele. Das Pochen wurde dringender, lauter, bedrohlicher.
Magister Lerch öffnete die Tür. Vor ihm in der Dunkelheit standen ein halbes Dutzend großer, vierschrötiger Gestalten und ein bleichhäutiger Mann in glänzender schwarzer Rüstung.
› Wo ist der Elbe?‹
Die Frage kam mit beinahe sanfter Stimme, die aber so kalt und schneidend war wie der Nordwind, der im Winter aus den Bergen wehte.
Adrion Lerch hob wie zur Abwehr die rechte Hand, als trage er eine Waffe darin oder ein magisches Artefakt, aus dem ein Blitz hervorbrechen würde, um seine Feinde zu zerschmettern. Aber die Hand war leer.
»Ich weiß nichts …«, sagte er nur.
»Du weißt nichts«, lächelte der Elbe, und seine Gesichtszüge gefroren. »Dann stirb unwissend, alter Mann!«
Der Dunkelelbe gab den Bolgs ein Zeichen, und einer hob sein Schwert und ließ es niedersausen. Es traf den Alten mit voller Wucht zwischen Schulter und Hals, drang tief durch Haut, Fleisch und Knochen in den Körper.
Als Magister Adrion Lerch auf den Boden aufschlug, war er bereits tot. Achtlos stiegen die Bolgs über seinen Leichnam hinweg, um das Haus zu durchsuchen.
Sie fanden die Kleidung des Elben, abgerissen, blutig und zerfetzt, aber sonst keine Spur.
So leise, wie sie gekommen waren, verschwanden sie in der Nacht. Zurück blieb der tote
Weitere Kostenlose Bücher