Die Risikoluege
Klaren sind, dass die vollkommene Reduzierung eines Restrisikos schon allein wegen der Fehlbarkeit des Menschen niemals möglich ist, und dass wir eine Generationen umfassende Vernichtung von Leben und Lebensraum nicht wollen können, dann bleibt uns gar nichts anderes übrig, als uns von solchen Technologien zu verabschieden, die potenziell die Apokalypse in sich tragen.
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Schweigen, Vertuschen, Beschönigen
Eine Katastrophenbilanz
Die großen Industriekatastrophen der Vergangenheit zeigen nicht nur die nicht immer beherrschbaren Risiken der Technik, sondern sind auch traurige Beispiele für unsachgemäßen, sorglosen und falschen Umgang mit ihr. Einige von ihnen wären durch verbesserte Sicherheitseinrichtungen oder bei Beachtung der vorgegebenen Vorsichtsmaßnahmen vermeidbar gewesen.
Während es bei Unglücken von Katastrophendimension fast immer zu einem »unglücklichen Zusammentreffen« von widrigen Umständen kommt, gibt es andererseits auch »glückliche Umstände«, die eine Katastrophe verhindern oder zumindest in ihrem Ausmaß reduzieren. Sonst sehe die Katastrophenbilanz der Großindustrien noch sehr viel schlechter aus.
Einige Beispiele zeigen, dass es zu Katastrophen gekommen ist, weil meist aus Kostengründen auf besondere Sicherheitsmaßnahmen kein Wert gelegt wurde, oder dass von Experten Warnungen ausgesprochen wurden, diese aber keine Beachtung fanden.
Die von mir beschriebenen Ereignisse zeigen zudem, dass hochkomplexe technische Systeme umso anfälliger für Katastrophen werden, je gewaltiger die Organisationen
sind, die sie betreiben (NASA). Verantwortlich für die negativen Auswirkungen großtechnologischer Anlagen sind vor allem die Betreiber, denn sie haben oft keine Skrupel, Risiken immer wieder bewusst in Kauf zu nehmen (Challenger, Deepwater Horizon) oder auf risikoreduzierende Maßnahmen zu verzichten (Seveso, Bhopal).
Auch muss man aufgrund gemachter Erfahrungen davon ausgehen, dass sich nach Katastrophen in Bezug auf Sicherheit wenig ändert. Die maroden Anlagen (Bhopal) oder veralteten Schiffe (Exxon Valdez), die ein Unglück ausgelöst haben, werden mit minimalem Aufwand wiederhergestellt und gelangen in die Hände neuer Besitzer, wonach sie meist unter neuem Namen weitermachen (aus Windscale wurde beispielsweise Sellafield) – nichts soll an die unrühmliche Vergangenheit erinnern. Gleiches gilt auch für das unternehmerisches Verhalten: Kein Innehalten und Umdenken, stattdessen Arroganz und Rücksichtslosigkeit.
Stellvertretend für rücksichtsloses Verhalten vieler nenne ich die schonungslose Erdölförderung des britisch-niederländischen Ölkonzerns Royal Dutch Shell im Nigerdelta. Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) geht davon aus, dass die Schäden und Gefahren, die Shell dort angerichtet hat, erst in 25 bis 30 Jahren wieder behoben sein werden, der Sachschaden geht in die Milliarden. Neben den Beeinträchtigungen des Trinkwassers und damit den Folgen für die Gesundheit der Menschen seien vor allem die Mangrovenwälder in Gefahr, heißt es in dem Bericht vom Sommer 2011. Die Lecks in den Leitungen müssten dringend gestopft werden, um weitere Verunreinigungen zu stoppen. Obwohl Shell also wusste, dass die Leitungen defekt sind, Öl verlieren und Menschen
und Umwelt schädigen, wurde weiter gefördert und erst auf massive Kritik hin reagiert man. Nach Schätzung von Umweltschützern sind in den vergangenen Jahrzehnten mindestens zwei Milliarden Liter Öl unkontrolliert ins Nigerdelta geflossen – mehr als doppelt so viel wie bei der Ölpest im Golf von Mexiko.
Lange Zeit hatte der Konzern eine Mitschuld von sich gewiesen. Jetzt sagt der Schweizer Peter Voser, der dem zweitgrößten Energiekonzern der Welt vorsteht: »Wir werden helfen, wo immer wir können. Shell ist bereit, jegliche Verschmutzung in Nigeria zu beseitigen«, fügt aber auch gleich hinzu, »unabhängig davon, ob sie durch uns oder durch Sabotage oder Vandalismus entstanden ist.«
Industrieunglücke haben Menschen nicht nur geschadet, sie haben auch ihr Vertrauen in die Betreiber von Technik und in die Technik schlechthin missbraucht. Denn das den Katastrophen folgende Kommunikationschaos bestand nicht nur darin, dass die Bevölkerung zu spät und zu unverständlich informiert wurde (was praktisch auf alle Unfälle zutrifft), sondern auch darin, dass Verursacher und Staat die Leute zuerst im Dunkeln gelassen und dann schlichtweg belogen haben.
So ist es nicht verwunderlich, dass wir
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