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Die Risikoluege

Die Risikoluege

Titel: Die Risikoluege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Heilmann
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aber es lässt sich mit ihm gut lügen, denn technische Pannen, Unglücke und Katastrophen lassen sich mit ihm immer so darstellen, wie man es gerade braucht. Nach Fukushima hat es buchstäblich einen Boom mit dem Wort gegeben, und jeder, ob Politiker oder Wirtschaftsboss, Journalist oder Industriekritiker, setzte es für seine Zwecke ein.

    Im Lexikon zur Kernenergie des Forschungszentrums Karlsruhe wird Restrisiko wie folgt erklärt: »Nicht näher zu definierendes, noch verbleibendes Risiko nach Beseitigung beziehungsweise Berücksichtigung aller denkbaren quantifizierbaren Risiken bei einer Risikobetrachtung.«
    Dies heißt, dass wenn der Ingenieur alle bei seiner Risikobetrachtung denkbaren quantifizierbaren Risiken beseitigt beziehungsweise berücksichtigt hat, hat er damit seine Aufgabe auch erfüllt. Der Leiter des Bereichs Kernkraftwerke beim VGB Power Tech, Ludger Mohrbach, hat historische Daten zu Tsunamis ausgewertet und gefunden, dass in Japan im Schnitt alle 36 Jahre eine über zehn Meter hohe Flutwelle zu erwarten sei, die Atomanlagen des Landes aber nur bis zu einer Höhe von sieben Metern ausgelegt sind. Deshalb drohe rein statistisch gesehen alle 30 bis 35 Jahre die Havarie eines Kraftwerks, wie dies nun in Fukushima geschehen war, weswegen Mohrbach zu dem Schluss kommt: »Fukushima hat mit Restrisiko nichts zu tun.«
    Was nichts anderes heißen kann, als dass der Katastrophe eine falsche, nicht ausreichende Auslegung der Anlagen gegen Tsunamis und wohl auch gegen Erdbeben zugrunde lag. Dass also die japanischen Ingenieure bei ihrer Risikobetrachtung ihre Aufgaben nicht ordentlich gemacht haben, denn Tsunamis gehören in Japan nicht nur zu den denkbaren, sondern auch zu den mehr oder weniger quantifizierbaren Risiken.
    Wenn man in Japan weiter auf Kernenergie setzen will, wird man also in Zukunft die Reaktoren noch erdbebensicherer und die Schutzmauern gegen Überflutungen noch höher machen müssen, was das Risiko zwar reduziert, aber auch dann nicht zu »absoluter« Sicherheit führt.
    Und dies ist auch der Hauptgrund, warum der Begriff
Restrisiko so unglücklich ist und in der Öffentlichkeit zu permanenten Missverständnissen Anlass gibt. Er erweckt bei uns nämlich den Eindruck, dass die Beseitigung eines restlichen Risikos durchaus möglich und absolute Sicherheit damit erreichbar sei, aber aus irgendeinem Grund – zum Beispiel weil zu teuer – nicht erfolgt. Dem ist natürlich nicht so. Nicht jedes Risiko ist vorhersehbar, und nicht jedes vorhersehbare Risiko ist mit Geld zu beseitigen.
    Wenn über die Sicherheit einer technischen Großanlage gesprochen wird, dann muss zunächst alles mit einbezogen werden, was es an vorhersehbaren und berechenbaren Risiken gibt. Und all das, was nicht vorhersehbar und nicht berechenbar ist – wozu vor allem die dem Menschen eigene Unzulänglichkeit und kriminelle Energie gehören -, ist das, was man Restrisiko nennt. Und insofern haben Fukushima und Ereignisse dieser und ähnlicher Art immer auch etwas mit Restrisiko zu tun. Von der deutschen Rechtsprechung wird Restrisiko als ein zumutbares, ein akzeptables Risiko erklärt.
    Restrisiko – und das ist das Fazit meiner Ausführungen zu diesem Thema – kann man nicht beseitigen. Denn könnte man es, gebe es ja absolute Sicherheit. Die aber gibt es nicht, auch wenn es uns immer wieder vorgegaukelt wird. Dieser schöne Glaube an die Vollkommenheit der Technik hängt vor allem damit zusammen, dass Technik im Laufe ihrer Geschichte immer sicherer wurde und immer noch sicherer wird, sodass mit dem Begriff höchste Erwartungen verbunden werden, also unter Sicherheit eine verständlicherweise »absolute« Sicherheit verstanden wird.
    Auch wenn ein Restrisiko nie völlig zu beseitigen ist, so kann man es dennoch verringern, denn jede Technik kann immer noch sicherer gemacht werden, vor allem dadurch,
dass man aus Fehlern und Unglücken lernt: Trial and Error, Versuch und Irrtum. So kann man die Häuser gegen noch stärkere Beben und die Dämme gegen noch höhere Fluten noch stärker und höher, also sicherer machen. Allerdings ist dies auch immer mit einem Aufwand verbunden – also mit Kosten. Inwieweit eine Risikominimierung im Einzelfall sinnvoll und der finanzielle Aufwand hierfür vertretbar ist, muss die Gesellschaft entscheiden und – falls sie sich dafür entscheidet – auch tragen.

    Während bei »normalen« Industriekatastrophen die Folgen relativ überschaubar und die Schäden letztendlich

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