Die Risikoluege
gar nicht passiert ist oder nur möglicherweise eintreten könnte.
Auch wenn bei einem Großereignis von der Kategorie Seveso oder Tschernobyl die verständlicherweise stark beunruhigte Bevölkerung etwas hören will, so wird zunächst geschwiegen. Und wenn dann endlich doch etwas gesagt wird, dann ist das, was gesagt wird, oft falsch. Die ersten Mitteilungen sind meist so formuliert, dass das Gesagte zwar wahr sein könnte, sich später dann aber als falsch und oft als bewusstes Lügen herausstellt.
Warum wird geschwiegen? Dafür gibt es verschiedene Gründe, die meisten sind taktischer Art. Oft hängt die Entscheidung des Unternehmens, welche Information wann nach außen abgegeben wird, weniger von den Empfehlungen der Öffentlichkeitsarbeiter als von den Anweisungen der Juristen ab. Und die interessieren sich in Krisensituationen
weniger für die Ängste der Bevölkerung oder das Erscheinungsbild des Unternehmens als primär für seine Haftung. Nicht das, was durch offene Information in der Öffentlichkeit an Glaubwürdigkeit gewonnen wird, sondern das, was durch voreilige Information eines Tages gegen das Unternehmen verwendet werden könnte, steht im Vordergrund juristischer Überlegungen.
Der juristische Rat an die Unternehmensleitung ist deshalb immer der gleiche: Zunächst schweigen, und dann nur das sagen, was juristisch geprüft und formuliert ist. Durch die schrittweise juristische Prüfung der Situation entsteht dann die uns allen bekannte scheibchenweise Information.
Was für die Juristen die Haftung ist, sind für den Staat die politischen Konsequenzen. Hinter unternehmerischem Schweigen steckt deshalb sehr oft auch ein politisch motivierter Druck der Regierung.
Vertuschen
Schweigen und Vertuschen gehen gewöhnlich Hand in Hand. Meist sind sich die Ingenieure und Techniker vor Ort ziemlich bald im Klaren darüber, was passiert ist, wissen aber nicht so rasch, ob, wie und wann das Problem zu beheben ist. Um Zeit zu gewinnen heißt es also, den wahren Grund für den Unfall und das Ausmaß des Unglücks zunächst einmal zu verschweigen. Und oft wird erst dann etwas herausgelassen oder bestätigt, wenn externe Fachleute ihre Vermutungen äußern. Das, was schlussendlich zugegeben wird, weil es sich nicht mehr verheimlichen lässt, wird heruntergespielt und bagatellisiert. Dieses Manöver
ist in allen von mir diskutierten Beispielen zu erkennen.
Der Staat verfährt mehr oder weniger nach dem gleichen Muster, wie wir das zuletzt nach Fukushima eindrucksvoll praktiziert bekamen. Großkonzerne und staatliche Organe sind in Katastrophensituationen fast immer Komplizen.
Und weil so lange geschwiegen und vertuscht wird, gelangen Meldungen über Zwischenfälle und ihre Ursachen meist von externen Quellen an die Öffentlichkeit, selten vom betroffenen Unternehmen selbst, manchmal aber auch von unzufriedenen Mitarbeitern. Erste Meldungen über Tschernobyl kamen von den Schweden, die über den Brand in Schweizerhalle von der Basler Polizei, die über Bhopal von Passanten, Betroffenen und Journalisten. Auf die frühzeitige Kernschmelze in Fukushima und deren eigentliche Ursache wurde zuerst von Greenpeace hingewiesen, Experten anderer Länder schlossen sich der Vermutung an.
Es gibt noch einen anderen Grund für das Vertuschen, der vermutlich öfter als bekannt vor allem bei Beinahekatastrophen eine Rolle spielt. Nehmen wir an, ein winziger technischer Defekt innerhalb eines Produktionsablaufs führt zu einem kleinen Zwischenfall, der nach außen noch keine Folgen hat, Mensch und Umwelt also nicht belastet. Nun ist jemand für den reibungslosen Ablauf und damit auch für die Panne verantwortlich. Aber kein Mensch ist gerne bereit, einen Zwischenfall auf sich zu nehmen. Also versucht er das Ganze zu vertuschen, in der Hoffnung, dass nichts bemerkt wird und sich die Folgen in Grenzen halten. An höherer Stelle wird kontrolliert und entdeckt und wegen einer gewissen Mitverantwortung auch wieder vertuscht, bis irgendwann einmal jemand diesen Prozess
durchbricht und den Zwischenfall an die Öffentlichkeit bringt. Meist passiert dabei nichts, aber manchmal kann auch Zeit verloren gegangen und der Schaden groß geworden sein.
Aber nicht nur in der Kernenergie, auch in anderen Industriebereichen – Chemiefabriken, Ölförderanlagen, Gefahrenguttransporten – wird bei Unfällen von Katastrophendimension all das praktiziert, wofür die Reaktorbetreiber mittlerweile bekannt wurden. Es ist dies also kein für die
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