Die Ritter der vierzig Inseln - Rycari Soroka Ostrovov
gleich draufgekommen? Wahrscheinlich lag hier irgendein Held begraben, unter dessen Führung seinerzeit eine Nachbarinsel erobert worden war. Maljok betete wohl für ihn, erhoffte sich seinen Beistand oder folgte sonst einem Ritual. Wer weiß, welch wunderliches Verhalten ich selbst nach ein paar Jahren auf der Insel an den Tag legen würde …
Gerade wollte ich mich auf den Rückweg machen, als ich plötzlich ein helles Knackgeräusch vernahm und kurz darauf Maljoks Stimme:
»Beobachter Nr. 36 erstattet Bericht.«
Ich erstarrte zur Salzsäule. Mit einem Gedenkritual hatte dies nun wirklich nichts gemein.
»Heute sind bei einem Gefecht auf der Ostbrücke folgende
Ritter aus dem Großen Spiel ausgeschieden: Igor Ostapenko …«
Pause. Es schien, als unterhalte Maljok sich mit jemandem, obwohl ich keine zweite Stimme hören konnte.
»Ja. Der Lange Igor … Igor Ostapenko, Igor, Kostja, Romka …«
Pause.
»Ja, Kostja in der Burg … an einer Wunde. Die Salbe hat nichts mehr geholfen.«
Angespannt bis in die letzte Faser, lauschte ich, hörte aber keinen Laut außer Maljoks dünner Stimme.
»Nein, nein … Ja … Ein bisschen.«
Er sprach abgehackt und plötzlich mit bebender Stimme: »Nein, er hat gar nichts gedacht. Er schläft jetzt und ist nirgendwo hingegangen.«
Maljok redete eindeutig über mich!
»Nein, nein, ihr habt es doch gesehen, das war doch im Freien … Chris hat es sich im letzten Moment anderes überlegt, das konnte ich nicht mehr melden. Das war Zufall …«
Diesmal folgte eine lange Pause.
»Nein, ich glaube, dass er nirgendwohin gehen wird. Wahrscheinlich habe ich mich geirrt …« Seine Stimme wurde fast flehend. »Nein, sie hecken nichts aus. Vielleicht kannten sie sich von früher? … Die Gesichter konnte ich nicht sehen. Ich hatte Bedenken, dass sie mich bemerken könnten.«
Maljok war den Tränen nahe, und ich konnte fühlen, dass er in diesem Moment furchtbare Angst hatte.
»Nein!«, schrie er panisch.
Es folgte ein trockenes Knistern, und zwischen Maljoks Händen sprühten bläuliche elektrische Funken hervor.
Von Krämpfen geschüttelt, versuchte er verzweifelt, aber vergeblich, die Hände von der Tafel zu ziehen. Mit zusammengebissenen Zähnen verkniff ich es mir, aufzuschreien und ihm zu Hilfe zu eilen.
Aus welchen Gründen auch immer die Außerirdischen uns auf diese Insel verschleppt hatten, sie hatten es auf jeden Fall nötig, uns zu beschatten. Sie brauchten einen Spion. Und schlechte Spione wurden bestraft.
Mit immer noch gleichsam an der Wand festgeklebten Händen war Maljok zusammengesackt und rappelte sich nur mühevoll wieder auf.
Endlich erklang seine Stimme wieder, leise und erstickt: »Ja, verstanden. Zehn Tage Beschattung … Und Chris auch, ja … Chris besonders, verstanden.«
Auf Zehenspitzen schlich ich zur Tür zurück. Obwohl mir Maljoks Petroleumfunzel beim Rückweg kaum mehr eine Hilfe war, schaffte ich es mit viel Glück, geräuschlos zwischen all den Kisten, Fässern und Brettern hindurchzugleiten.
Als ich die Treppe hinaufstürmte, schwirrten mir alle möglichen Gedanken durch den Kopf. Ich hatte das Gefühl, dass ich sofort etwas unternehmen müsste. Zum Beispiel Chris aufwecken oder Tolik, und ihnen sagen, dass Maljok ein Verräter sei und uns hinterherspionierte. Denn im Inneren der Burg konnten uns die Außerirdischen nicht beobachten. Das wusste ich aus den Gesprächen mit den anderen. Während ich durch den unteren Gang eilte, überlegte ich es mir jedoch anders und beschloss, niemanden aufzuwecken, denn ich konnte mir lebhaft vorstellen, was dann passiert wäre.
Zurück in meiner Kammer, legte ich mich aufs Bett und versuchte, mich an alles zu erinnern, was ich je über
Spione gelesen hatte. Ich hatte eine Menge Thriller gelesen, in denen Spione auf unterschiedliche Weise ihr Unwesen trieben, aber soweit ich mich erinnern konnte, hatte man es nie besonders eilig damit, sie hinter Gitter zu bringen. Vielmehr versuchte man, sie zu überlisten und ihnen falsche Fakten an die Hand zu geben.
Draußen rauschte leise der Wind, es waren die letzten Seufzer des nachlassenden Sturms. Etwa fünf Meter von mir entfernt schliefen im Nachbarraum meine Freunde, während in das leere Bett neben mir jeden Moment der Feind zurückkehren würde. Ein Spion, wegen dem heute, besser gesagt gestern, die drei Jungen gestorben waren. Auf keinen Fall durfte ich verraten, was ich wusste, am besten war es wohl, erst einmal still zu halten und ihn genau zu
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