Die Ritter der vierzig Inseln - Rycari Soroka Ostrovov
begrüßte ich ihn lächelnd. »Du brauchst keine Angst zu haben!«
Der Neue sprang auf, griff nach seiner Tasche und begann hastig an deren widerspenstigem Reißverschluss zu zerren.
»Was ist los?«, fragte Tanja, die auf ihn zuging und ihn vorsichtig an der Schulter fasste.
Der Junge zuckte zusammen. Dann wisperte er kläglich und mit fragender Intonation: »Where am I?«
»Huch, du bist ja gar kein Russe«, sagte ich völlig perplex. Seine Frage hatte ich verstanden, war mir aber nicht sicher, ob ich auch auf Englisch antworten könnte.
»Who are you?« , fragte der Junge leise und sah mir dabei fest in die Augen.
Tanja fing zu kichern an. Ich versetzte ihr einen strengen Blick und sagte: »Klarer Fall, das ist ein Engländer. Da müssen wir auf Chris warten.«
Wenn ich gewusst hätte, womit Chris gerade beschäftigt war, hätte ich nicht im warmen Sand der Insel Nr. 36 auf seine Rückkehr gewartet, sondern wäre auf schnellstem Wege zu ihm geeilt. Erst am Abend jedoch erzählte mir Meloman, was während ihres Wachdienstes passiert war.
Auf der Südbrücke hatte schon seit dem frühen Morgen eine sehr angespannte Stimmung geherrscht. Chris und Meloman hatten sich dorthin zur Wache aufgemacht und auf einen ruhigen Tag ohne lästige Scharmützel oder gar ernsthafte Gefechte gehofft.
Dass es ungemütlich für sie werden könnte, erkannten sie gleich bei ihrer Ankunft, denn die Insel Nr. 24 hatte fünf Kämpfer auf die Brücke entsandt. Wenn diese auch ursprünglich keinen Angriff geplant hatten, so war ihr zahlenmäßiges Übergewicht doch eine große Versuchung. Zunächst hielt sie nur die Anwesenheit von Chris von einem Angriff ab, denn sie kannten ihn gut und waren nicht gerade erpicht darauf, sich mit ihm anzulegen.
Aber im Lauf der Zeit stachelten sich die fünf von der Nr. 24 mehr und mehr gegenseitig auf und rotteten sich schließlich bedrohlich nahe an der Brückengrenze zusammen. Chris blickte immer wieder zur Burg hinunter in der Hoffnung, dass Hilfe käme. Auf dem Wachturm war Rita eingeteilt, sie hätte eigentlich wissen müssen, dass ein Kräfteverhältnis von fünf gegen zwei eine ziemlich brenzlige Angelegenheit war. Die Brücke blieb jedoch verwaist.
Chris konnte nicht wissen, dass Rita zur selben Zeit zusammen mit mir und den jüngeren Mädchen um einen Neuankömmling herumstand, der sich an seine Sporttasche klammerte und immer wieder entgeistert die Burg anstarrte, obwohl wir ihm mit einigen mühsam aus dem Gedächtnis zusammengeklaubten Brocken Englisch und mit Händen und Füßen klarzumachen versuchten, dass er sich nicht zu fürchten brauchte.
Die Insel Nr. 24 wollte sich diese einmalige Chance nicht entgehen lassen. Ein hoch aufgeschossener, kräftiger
Kerl, der älter als Chris war, schritt voran. Chris drängte Meloman mit der Schulter zur Seite, zog sein Schwert aus dem Riemen und ging ihm entgegen.
»Eins gegen eins?«, fragte er.
Der lange Kerl nickte. Chris wusste nur zu gut, dass seine Chancen schlecht standen. Seinen Gegner kannte er seit vielen Jahren. Der war schon ein erfahrener Schwertkämpfer gewesen, als Chris erst auf die Insel kam. Er tauchte nicht oft auf der Südbrücke auf, aber wenn, dann verhieß das nichts Gutes. Im Übrigen war er schlichtweg stärker als Chris.
Einen kurzen, kehligen Schrei ausstoßend, sprang der Lange nach vorn. Chris wich ihm aus und versuchte, ihn von der Seite zu treffen. Mühelos wehrte sein Kontrahent den Schlag ab und sprang zurück.
»Super, Genka!«, rief einer der Jungen hinter ihm.
Genka grinste und stürzte erneut nach vorn. Nach kurzer Zeit hatte Chris herausgefunden, mit welcher Taktik Genka kämpfte: Er setzte einen Hieb und zog sich dann blitzschnell zurück. Ein begnadeter Fechtkünstler war er zwar nicht, aber allein seine rohe Kraft machte jede seiner Attacken lebensgefährlich. Zudem verstand er es glänzend, gegnerischen Schlägen mit katzenhafter Geschmeidigkeit auszuweichen.
»Komm, ich lös dich mal ab«, rief Meloman nach einiger Zeit von hinten.
Chris gab ihm nicht einmal eine Antwort. Dies war sein Kampf. Meloman hätte ohnehin nicht die geringste Chance gehabt, die Hiebe des Langen zu parieren.
»Genka, Genka!«, brüllten seine vier Gefährten zur Anfeuerung … nein, es brüllten nur drei; aus dem Augenwinkel bemerkte Chris, dass einer von ihnen schwieg.
Und noch etwas anderes war ungewöhnlich an diesem einen, wenn er nur gewusst hätte, was.
»Gib’s den Sechsunddreißigern! Mach sie nieder,
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