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Die Ritter der vierzig Inseln - Rycari Soroka Ostrovov

Titel: Die Ritter der vierzig Inseln - Rycari Soroka Ostrovov Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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denn heute sollten wir beide die Hauptrolle spielen in dem Plan, den Chris sich ausgedacht hatte.
    Gegen die süße Schläfrigkeit ankämpfend, die mich an diesem Ort erfasste, gab ich mir einen inneren Ruck und sprang auf die Füße. Hurtig schritt ich den Hügel hinab in Richtung Burg und widerstand der Versuchung, mich noch einmal umzudrehen. Denn vom Nordufer hatte man den schönsten Blick auf den Ozean, vielleicht deshalb, weil es in dieser Richtung keine anderen Inseln gab. Dort erstreckte sich bis zum Horizont nur tiefes Blau. Dort lag - die Freiheit.
     
    Die Mädchen waren noch in Ritas Kammer versammelt, nur Olja, die Jüngste, stapfte missgelaunt durch den Korridor. Ich schnitt ihr zum Spaß eine Grimasse, die sie mir mit einer giftigen Fratze heimzahlte.
    Vorsichtig klopfte ich an der Tür. Zur Antwort schlugen mir kreischendes Gelächter und Ritas Stimme entgegen. »Dimotschka, gedulde dich noch fünf Minuten!«
    Dimotschka … Hätte Inga mich so genannt, hätte ich mich sicherlich geschmeichelt gefühlt. Aus Ritas Mund dagegen klang es etwas gönnerhaft und herablassend. Ich drehte mich nach Olja um, ob sie es womöglich gehört hatte. Aber die stand mit finsterer Miene am Fenster, fuhr mit dem Finger über die Scheibe und achtete überhaupt nicht auf mich. Die Fensterscheibe war schmutzig, und Oljas Finger hinterließ schmierige Spuren.
    »Malst du?«, fragte ich.
    »Ja, einen Tannenbaum.«
    Auf dem Fensterglas entstanden tatsächlich die Umrisse
eines Baumes. Auf die Zehen gestellt, malte Olja einen windschiefen Stern auf die Spitze.
    »Ich möchte, dass Weihnachten ist«, erklärte sie trotzig, »und dass es schneit.«
    Olja war ein drolliges Mädchen: klein, dürr und erstaunlich selbstständig. So betrübt sah ich sie zum ersten Mal, noch dazu wegen so einer Nichtigkeit.
    »Was findest du denn so schön am Winter?«
    »Weißt du, ich wurde geklaut, als ich gerade vor dem Weihnachtsbaum saß«, erklärte sie und malte eine Krippe neben den Baum. »Ich frage mich die ganze Zeit, was meine Eltern mir schenken wollten.«
    Fast allen Jungen und Mädchen auf der Insel ging es gegen den Strich, sich als Kopie ihrer selbst zu begreifen. Nicht dass jemand bestritten hätte, was Inga und ich entdeckt hatten. Dennoch konnten sich die wenigsten mit der Tatsache abfinden, dass ihr Ebenbild auf der Erde geblieben war. So hielt es offenbar auch Olja. Denn zweifellos hatte die »eigentliche« Olja ihre Geschenke zu Weihnachten bekommen.
    Inga steckte den Kopf aus der Kammer. »Bist du so weit, Dima?«
    »Gerade fertig geworden«, erwiderte ich artig.
    Es war nicht gerade viel, was für unsere Mission von Nutzen sein konnte. In die Hosentasche meiner Jeans hatte ich mit Wundsalbe getränktes Verbandszeug gestopft, und an meinem Gürtel hing in einer einfachen Schlaufe mein Schwert. Eine Schwertscheide war überflüssig, da die Klinge für mich ja aus Holz war.
    Wir gingen die Südbrücke hinauf. Inga lief ein paar Schritte hinter mir, hielt sich dicht an der Balustrade und sah immer wieder nachdenklich aufs Wasser hinab. Ihr
Schwert hatte sie heute nicht dabei, denn niemand hatte vor, sie in einen Kampf zu hetzen.
    »Dima, wenn wir nicht mehr nach Hause zurückkehren können, bleiben wir dann unser ganzes Leben lang auf der Insel?«, fragte sie so unvermittelt, als hätte sie laut nachgedacht.
    »Ja. Aber wir kehren ganz bestimmt zurück!«
    »Aber wenn nicht? Könnten wir dann nicht fliehen?«
    »Wohin denn?«
    »Egal wohin. Wir bauen ein Boot und segeln fort.«
    »Im Keller ist ein Boot«, fiel mir ein. »Ich hab es selbst gesehen.«
    »Dann bist du also einverstanden? Allein fürchte ich mich, mit dir zusammen hätte ich keine Angst. Wir fliehen also, ja?«
    Ich blieb stehen und sah Inga erstaunt an. War das wirklich dasselbe Mädchen, mit dem ich mich im Kindergarten gebalgt hatte, mit der ich mir im Schulhof Schneeballschlachten geliefert hatte, auf deren Geburtstagsfesten ich regelmäßig zu Gast gewesen war und der ich kürzlich am Schulausflug über einen kalten, rauschenden Bach geholfen hatte? Sie hatte immer noch dasselbe hübsche Gesicht und die leise, ernsthafte Stimme. Ihre Figur indes war nicht mehr kindlich, wenn auch noch nicht so fraulich wie die von Rita.
    Mit einem Mal wurde mir klar, dass ich tatsächlich bereit war, mit ihr zu fliehen, egal ob in einer kleinen Nussschale auf den offenen Ozean hinaus oder auf die nächste Insel in die Sklaverei. Ich erschrak regelrecht über diese Erkenntnis.

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