Die Ritter der vierzig Inseln - Rycari Soroka Ostrovov
uns angreifen würden, aber nachts in Ufernähe zu treiben und sich auf einen improvisierten Anker zu verlassen, wäre noch gefährlicher gewesen, als an Land zu gehen. Denn der Wind wurde stärker, und, was noch bedenklicher war, am Horizont zogen dunkle Regenwolken auf. Das Wetter auf den Inseln konnte blitzartig umschlagen.
Wir hatten ausgehandelt, dass wir unsere Waffen behalten durften. Nachdem der Bug der Aliens Nightmare sich mit einem sanften Knirschen in den Sand gebohrt hatte, reichte mir Timur mein Schwert und meine Kleider.
In jenem Moment überkam mich plötzlich ein eigenartiges Gefühl, als stünde ich nackt vor allen da.
Als Erstes schnallte ich mir den Gürtel mit dem Schwert um, erst danach schlüpfte ich in Jeans und T-Shirt. Unsicher blickte ich mich um. Timur und Tom waren damit beschäftigt, das Boot noch ein Stück weiter ans Ufer zu ziehen, während Inga, Janusch und die Jungen von der Insel mich schweigend beobachteten. Sie lachten nicht, nein. Sie verstanden mich!
Krampfhaft und voller widersprüchlicher Gefühle umklammerte ich den Griff meines Schwerts und wusste selbst nicht, warum. Ganz allmählich wurde das raue Holz in meiner Hand zu glattem Stahl.
Mit einer gewissen Erleichterung blickte ich zu Sergej und seinen Freunden. Noch hatte ich mich nicht in eine gefühllose Kampfmaschine verwandelt. Noch hielt ich mich. Noch!
Die Insel Nr. 4 wurde von ihren Bewohnern Kleine Bastion genannt. Die Funktion, die bei uns der Thronsaal übernahm, wurde hier von einer Rundkapelle erfüllt, in der mir als einzige Besonderheit eine kleine Ikone auffiel. Sicherlich hatte sie ein früherer Bewohner mit auf die Insel gebracht. Fast den ganzen Abend saß ich dort mit Sergej zu zweit zusammen, nicht weil wir allein sein wollten, sondern weil die Übrigen anderweitig beschäftigt waren.
Timur, der sich erstaunlich schnell mit einigen französischen Jungen angefreundet hatte, verschwand mit ihnen im Trainingssaal, wo sie eifrig die Schwerter schwangen.
Tom und der zehnjährige André, der auf der Erde ebenfalls
gesegelt war, saßen zu Füßen der Aliens Nightmare am Strand, tauschten sich über Jachten aus und spannen Seemannsgarn.
Janusch hatte auf der Insel einen Landsmann getroffen, worüber er verständlicherweise völlig aus dem Häuschen war. Der Junge hieß Marek und stammte aus Danzig. Schon seit mehreren Stunden saßen sie in Mareks Kammer und unterhielten sich auf Polnisch.
Inga befand sich natürlich in Gesellschaft der auf der Insel lebenden Mädchen. Wie sie es schaffte, mit einer Französin, zwei dänischen Zwillingsschwestern und einer fünfzehnjährigen Schwarzen aus Sambia - oder war sie aus Simbabwe? - eine gemeinsame Sprache zu finden, war mir ein Rätsel. Einmal mehr legte sie eine jener Fähigkeiten an den Tag, die nur Mädchen gegeben zu sein scheint und ebenso unbegreiflich ist wie das Talent, aus Buchweizengrieß, Haferschleim und sonstigem Ekelzeug leckere Torten zu backen.
Die Rundkapelle hatte auch eine ähnliche Ausstrahlung wie unser Thronsaal, eine Mischung aus Adelspalais und Räuberhöhle. Das Gegengewicht zu einem Dutzend selbst zusammengenagelter Holzhocker mit windschiefen Beinen bildeten zwei luxuriöse, mit edlem Samt bezogene Polstersessel, die mich hellauf begeisterten. Zwar war der früher vermutlich gelbe oder gar rote Bezug zu einem fahlen Hellgrau verblasst, und der Zahn der Zeit hatte deutliche Spuren an ihnen hinterlassen, dennoch waren sie unglaublich weich und bequem, worauf es bei einem Sitzmöbel schließlich ankommt. Wie ich es zu Hause im Fernsehsessel meiner Eltern gern tat, fläzte ich mich, das eine Bein über die Lehne geschwungen, genussvoll in einen davon hinein.
Sergej machte sich inzwischen an einem verglasten Schrank zu schaffen, aus dem er zwei kleine Tassen und ein Plastiksäckchen mit braunem Pulver hervorkramte.
»Trinkst du einen Kaffee?«, fragte er.
»Sehr gern«, erwiderte ich.
Sergej verließ kurz den Raum, um heißes Wasser aus der Küche zu holen, und bald darauf saßen wir uns Kaffee schlürfend gegenüber.
»Dima«, begann Sergej und sah mich unerwartet ernst an, »glaubt ihr denn bei euch auf der Insel wirklich daran, dass ihr mit eurer Konföderation Erfolg haben werdet und eines Tages nach Hause zurückkehren könnt?«
Das war eine schwere Frage, denn die Erfolgschancen der Konföderation waren bei uns eigentlich nie ein Gesprächsthema gewesen. Bei den Verhandlungen am Strand hatte ich Sergej erzählt, aus
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