Die Ritter des Nordens
oder nicht so schnell laufen konnten wie ihre Kameraden. Gleichzeitig gaben sie sich aber auch selbst dem Feind schutzlos preis.
»Hierbleiben!«, brüllte ich in der Hoffnung, dass die anderen Lords mich hörten und ihre Männer von solchen Dummheiten abhalten würden. Wäre der Feind tatsächlich auf der Flucht gewesen, hätte ich es den Männern vielleicht sogar erlaubt, ihrem Schwertarm freien Lauf zu lassen und ein bisschen zu metzeln. Doch von Flucht konnte gar keine Rede sein. Vielmehr wollten die Feinde uns nur in Sicherheit wiegen, während sie sich bereits für den nächsten Angriff formierten.
Wenn Menschen, die den Krieg nicht kennen, sich ausmalen, was in der Schlacht geschieht, stellen sie sich gerne vor, dass die Kämpfenden während eines solchen Treffens pausenlos die Klingen kreuzen, dass sie sich die ganze Zeit direkt gegenüberstehen, ständig fechten und sich unentwegt Zweikämpfe liefern. Natürlich kommt es vor, dass die Schlachtreihen mit voller Wucht zusammenstoßen, dass ohne Pause erbittert gefochten wird; trotzdem gibt es zwischendurch immer wieder Atempausen, weil die Schlachtreihen zurückweichen und plötzlich eine merkwürdige Stille einkehrt. Atempausen, wie wir gerade eine erlebten. Doch nicht selten sind gerade diese Augenblicke besonders gefährlich. Wenn der Krieger nämlich nicht mehr nur um sein eigenes Leben kämpft, wenn er ringsum auf dem Schlachtfeld die Gefallenen sieht, kann es leicht geschehen, dass ihn unversehens der Mut verlässt. Letzten Endes entscheiden daher nicht unbedingt die erfahrensten und geschicktesten Recken über den Ausgang einer Schlacht, sondern die Männer mit dem stärksten Willen und der unerschütterlichsten Moral.
»Kommt schon, ihr Hunde, und sterbt«, brüllte Eudo. Einerseits, um den Feind zu reizen, andererseits wohl auch, um unsere eigenen Männer anzufeuern. »Dreckshaufen, Hurensöhne, Teufelsbrut! Los, greift uns an!«
Doch in dem Gefechtslärm ringsum konnte gewiss kein einziger Angreifer verstehen, was er sagte, zumal die meisten von ihnen ohnehin kein Französisch sprachen. Trotzdem griffen sie wieder an, von ihren Thanen angefeuert, die in Friedenszeiten ihre Lehnsherren waren und im Krieg ihre Befehlshaber. Ich erkannte sie nicht nur an den Flaggen, die sie an ihren Speeren befestigt hatten, sondern auch an den reich geschmückten Panzerhemden und Helmen und an ihren mit Kupferbändern, Gold- und Silberintarsien und mit Edelsteinen verzierten Schwertscheiden. Ich hielt Ausschau nach Eadric dem Wilden, hoffte, ihn an schmückenden Accessoires zu erkennen oder aber an der Größe seines Gefolges, da ich sein Gesicht noch nie gesehen hatte und auch sein Feldzeichen nicht kannte. Möglich, dass er sich irgendwo dort draußen unter den Männern befand, doch ich erkannte ihn nicht.
Die Engländer unternahmen einen weiteren Angriff, dann noch einen und verursachten immer neue Schäden an der Barrikade, die uns schützte. Mal zogen sie einen Karren beiseite, mal zertrümmerten sie einen mit ihren Äxten. Gleichzeitig fiel auch die Trockenmauer immer mehr auseinander und stürzte an einigen Stellen sogar ganz ein. Immerhin hatte sie uns gute Dienste geleistet. Sie hatte die Wucht der ersten Angriffswellen deutlich gedämpft und uns sogar geholfen, viel mehr Angreifer auszuschalten, als uns ohne das Bollwerk möglich gewesen wäre. Als sich der Feind jetzt wieder zurückzog, sah ich, dass von unserer Barrikade bloß noch lose Steine und zertrümmerte Bretter und Holzstücke übrig waren – wie Treibgut am Ufer des Meeres. Dazwischen lagen weit verstreut die gefallenen Feinde, aber auch etliche unserer eigenen Männer. Einen genauen Eindruck konnte ich mir zwischen all dem Blut und dem hohen Gras allerdings nicht verschaffen. Als ich unsere eigenen Schlachtreihen inspizierte, fiel mir auf, dass dort plötzlich etliche Männer ganz vorne standen, die vorher noch nicht dort gewesen waren.
Auf dem rechten Flügel, wo Wace, Maredudd und Ithel das Kommando hatten, waren die Verluste offenbar nicht so groß, was gewiss auch mit den Bodenverhältnissen zu tun hatte, die dort wirksame Aktionen erschwerten. Maredudds Bogenschützen hatten mehrere Dutzend Angreifer erledigt, die den Schildwall gar nicht erst erreicht hatten. Diese Gefallenen lagen jetzt im Schlamm. Aus ihren Leibern ragten die befiederten Schäfte von Pfeilen, und die Bogenschützen waren damit beschäftigt, diese wieder herauszuziehen, um sich damit für den nächsten Angriff zu
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