Die Ritter des Nordens
ersten feindlichen Attacken abzuwehren, doch als ich den Blick über unsere Truppen schweifen ließ, sah ich, welch hohen Preis wir dafür entrichtet hatten. Dutzende unserer Männer lagen verwundet, noch mehr gefallen am Boden. Sie lagen im Schlamm, und in so manchem Körper steckte noch ein Speer, an dem oben ein schlaffer Wimpel hing. Kleider und Gesichter waren mit einer rötlich-braunen Masse besudelt. Einige davon kannte ich: die Gesichter von Männern, mit denen ich noch in den letzten Tagen geredet hatte, Speerkämpfer und Ritter und andere Lords. Noch so einen Angriff konnten wir unmöglich überstehen.
Dann sah ich, dass die beiden Löwenbanner der walisischen Könige sich wieder in Bewegung setzten. Sie kamen jedoch nicht etwa den Hang herunter, um uns den Todesstoß zu versetzen, sondern zogen auf der Nordseite des Tales an der Mühle vorbei. Wieder erschollen die Hörner, und diesmal begriff ich, woher die Signale kamen und was sie zu bedeuten hatten.
Unter dem Regen und dem wolkenverhangenen, dunklen Himmel galoppierten nun – ebenfalls von Norden her – schwer bewaffnete Panzerreiter im strömenden Regen durch das Tal, eine Einheit nach der anderen – so viele, dass ich sie nicht zu zählen vermochte. Hoch über den Reitern flatterten im Wind schwarze Wimpel und Flaggen, auf denen ein weißes Wappen prangte, das ich gut kannte und das einen Wolf darstellte.
Earl Hugues war eingetroffen.
Sechzehn
•
T atsächlich: Da war er. Inmitten seiner Ritter sprengte er hoch zu Ross im strömenden Regen durch das Tal, über die Felder und Wiesen, die sich zwischen dem Gehölz und dem Heidekraut an den Hängen hinzogen.
»Der Wolf!«, rief Eudo und brach vor Freude in lauten Jubel aus. »Er ist da!«
Offenbar hatte jemand den Earl benachrichtigt, und jetzt war er mit seinem Heer persönlich auf dem Schlachtfeld erschienen: insgesamt fünfzehnhundert Mann. Plötzlich hatte sich das Schlachtenglück gewendet. Die Waliser hatten es nun plötzlich sehr eilig, ihre Truppen um sich zu versammeln; sie bellten Befehle und versuchten verzweifelt, ihren Männern neuen Mut einzuflößen. Unter dem Doppelbanner des blauzüngigen Löwen wappneten sie sich gegen die Truppen, die sich von Norden her näherten. Diesmal konnte ich die beiden Könige erkennen: Bleddyn und Rhiwallon, die beide inmitten ihres Gefolges im Sattel saßen. Die Engländer dagegen, die gerade noch gegen unseren Schildwall angerannt waren, zogen sich jetzt zurück und überließen es ihren walisischen Verbündeten, sich allein der gewaltigen Welle normannischer Panzerreiter zu erwehren. Aberhunderte von Hufen wirbelten Erdklumpen und Grasbüschel auf, und ihr Donner hallte ringsum von den Hängen wider.
Zwischendurch wurde das Pferdegetrappel immer wieder von einem Schlachtruf übertönt, der sich mit Macht durch die Reihen fortpflanzte, bis alle wie aus einem Mund brüllten: »Für die Normandie!«
Und dann brachen sie auch schon in die feindlichen Linien ein. Häufig weigern sich Pferde zwar, in eine gut geordnete, von Speeren starrende Phalanx einzudringen. Doch wo dies gelingt, kann ein Reiterangriff wirklich Angst und Schrecken verbreiten und einen undisziplinierten und nervenschwachen Schildwall einfach hinwegfegen. Und so war es auch an diesem Tag, als die Ritter des Wolfs mehrere Keile in die walisische Phalanx trieben. Sie durchbrachen die feindliche Schlachtreihe, spießten zahlreiche Feinde mit ihren Lanzen auf und galoppierten einfach über die Gefallenen hinweg. Eine neue Welle der Schlacht wogte heran und trieb den Feind den Hang hinauf. Und so war das Gelände zwischen uns und Earl Hugues plötzlich wie verwaist. Doch lagen ringsum nicht nur die Trümmer der eingestürzten Trockenmauer am Boden, sondern auch die Überreste der zerstörten Karren, zerbrochene Speere, geborstene Schilde. Vor allem aber die Toten und Verwundeten der Schlacht.
»Aufsitzen!«, sagte ich zu Serlo und Eudo, die neben mir standen, und schrie dann so laut, dass alle es hören mussten: »Aufsitzen!«
Ohne meine Klinge auch nur abzuwischen, schob ich sie wieder in die Scheide und ging dann zu der behelfsmäßigen Koppel am Fluss, wo die Pferde verwahrt wurden. Nach all dem Hauen und Stechen konnte ich die Arme kaum mehr heben, zumal noch zusätzlich das Gewicht des Kettenhemds und des Schildes auf ihnen lastete. Auch meine Beine wollten mich kaum noch tragen. Doch ich wusste, dass der Kampf noch lange nicht vorüber war. Snocca und Cnebba brachten mir
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