Die Ritter des Nordens
wappnen.
Ich tastete vorne in meinem Hemd nach dem kleinen Silberkreuz, das mich schon seit Jahren beschützte, und nach dem Anhänger mit dem Zehengelenk des heiligen Ignatius. Ich umschloss beide fest mit der Hand und sprach mit geschlossenen Augen ein Gebet.
»Christus sei mein Schild«, murmelte ich abschließend. Dann presste ich das Kreuz kurz an die Lippen und ließ es wieder unter meinem Panzer verschwinden.
Wieder griffen die Engländer an, rückten diesmal in geordneten Reihen gegen uns vor, wieder von ihren Thanen geführt. Dabei gewann ich den Eindruck, dass sich ihr Angriff jetzt vor allem gegen unseren Flügel richtete: gegen mich selbst, meine Ritter und Eudo. Wenn es ihnen gelang, unsere Linien an einer Stelle zu durchbrechen, musste unser Widerstand rasch zusammenbrechen, das wussten sie ganz genau. Was jedoch nicht bedeutete, dass Wace und die Prinzen, die rechts von uns kämpften, sich eine Verschnaufpause hätten gönnen können. Oben am Hang war nämlich bereits eines der beiden Löwenbanner zu erkennen, das rasch näher kam. Dahinter marschierte ein walisischer Gewalthaufen, der von einem der beiden Könige angeführt wurde: ob von Bleddyn oder von Rhiwallon, vermochte ich allerdings nicht zu sagen.
Offenbar war der Feind zu dem Entschluss gelangt, dass es mit dem Vorgeplänkel nun ein Ende haben sollte. Jetzt traten die Verbündeten mit ihrer ganzen Streitmacht zum Sturm auf unsere Stellungen an, jetzt erst begann die eigentliche Schlacht. Mir rann der Schweiß von der Stirn, und ich musste ständig blinzeln, weil mir die Schweißtropfen in den Augen brannten. Gleichzeitig atmete ich tief durch, wusste ich doch nur zu gut, dass wir alle schon bald tot sein würden, falls wir es nicht schafften, die Stellung zu halten.
»Rückt zusammen«, brüllte ich. »Und die Schilde zusammenhalten! Für die Normandie …«
Mehr konnte ich nicht mehr sagen, weil sich uns der Feind in diesem Augenblick mit ganzer Wucht entgegenwarf.
Wer einmal im Schildwall gestanden hat, weiß, dass es kaum etwas Brutaleres gibt. Ich habe in meinem ganzen Leben nichts anderes erlebt, was dieser Erfahrung gleichkommt. Und wer diese Situation nicht kennengelernt hat, dem kann man sie kaum angemessen schildern. Denn wirklich gelebt hat nur, wer Schulter an Schulter mit den Kameraden dem Feind, der ihn töten wollte, direkt ins Auge geblickt hat, seinen nach Ale stinkenden Atem, seine vollgeschissene Hose und seinen Achselschweiß gerochen hat. Richtig gelebt hat nur, wer dem Feind die Klinge in die Eingeweide gerammt und gesehen hat, wie unter zuckenden Gedärmen das Leben aus ihm weicht – wer das alles überlebt hat und später davon berichten kann.
Wie lange wir den Feind aufhielten, vermag ich nicht mehr zu sagen. Hinterher kam es mir vor, als ob Stunden vergangen wären. Irgendwann sah ich, dass am Himmel dunkle Wolken aufgezogen waren und schwere Regengüsse auf uns niederprasselten, hörte ich das Trommeln der Regentropfen auf meinem Helm, ihren Widerhall in meinem Schädel, spürte ich, wie mir Wasser über das Gesicht lief, vom Kinn tropfte, in den Kettenpanzer eindrang, bis mir der Rock buchstäblich am Leib klebte. Meine Klinge fällte Mann um Mann, und mehr als einmal musste ich jemandem aus der zweiten Reihe meinen Platz überlassen, weil ich einen frischen Speer brauchte, weil der Spieß, mit dem ich bis dahin gekämpft hatte, zertrümmert oder seine Spitze abgebrochen war. Ich wusste schon nicht mehr, wie viele Feinde ich getötet hatte, nur eines wusste ich: nicht genug. Wieder versuchte der Feind unsere Stellungen mit frischen Kräften zu überrennen, und allmählich wurden wir hinter den Überresten der Mauer immer weiter in Richtung Fluss gedrängt. Noch behaupteten wir uns, aber mit jedem Schritt, den wir zurückwichen, wurde unsere Lage schwieriger und aussichtsloser.
Links von mir stieß Turold einen gellenden Schrei aus und wich dann torkelnd ein paar Schritte zurück. Der Schild des jungen Ritters war geborsten, und er presste sich eine Hand gegen die blutigen Rippen, während vor ihm ein langhaariger Feind mit dem Sax zum Todesstoß ausholte. Nur dass der Mann sich dabei zu weit aus dem Schutz seines eigenen Schildwalls vorwagte und sich plötzlich von mehreren Franzosen umringt sah. Und so hatte ihm Serlo längst seinen Speer tief in die Brust gestoßen, bevor der Kerl Turold noch einmal etwas anhaben konnte.
Turold lag mit weit aufgerissenen Augen am Boden; aus seinem Kettenhemd sickerte
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