Die Ritter des Nordens
unseren Kampfgeist erproben, uns zermürben, uns ermüden sollten, bevor am Ende die kampferprobten Krieger über uns herfallen und uns vollends erledigen würden. Aber mochten die Bauern auch noch so tapfer kämpfen, geübte Krieger waren sie nicht. Sie konnten gerade einmal einen Spieß halten, sonst nichts. Wir würden mit ihnen fertigwerden – hoffte ich wenigstens.
Ich schlitzte einem Mann mit der Klinge den Hals vom Ohr bis zum Schlüsselbein auf, und er drehte sich weg und griff sich mit der Hand an die klaffende Wunde. Etwas weiter rechts hatten einige seiner Kameraden einen Karren beiseitegezogen und so eine Lücke geschaffen, in der ein paar Männer Schulter an Schulter nebeneinanderstehen konnten. Doch keiner wollte der Erste sein, der sein Glück gegen unseren robusten Schildwall versuchte. Die beiden, die ganz vorne standen, zögerten noch, wussten nicht, was sie tun sollten, bis ihre nachdrängenden Kameraden sie direkt vor die normannischen Speere drängten.
»Ut!«, bellten die Männer in dem feindlichen Haufen – ein kehliger Laut von elementarer Wucht, der mich an das Heulen jagender Wölfe erinnerte. »Ut, ut, ut!«
Ich kannte den Schlachtruf bereits und erinnerte mich noch sehr gut daran, wie ich ihn zum ersten Mal an jenem Oktobermorgen in Hæstinges gehört hatte, als über den Bäumen gerade die Sonne aufgegangen und die Wolkendecke aufgerissen war und wir die Anhöhe vor uns gesehen hatten, die die Engländer als Senlac Hill bezeichneten. Vor uns standen die Vasallen des Usurpators, Aberhunderte von ihnen, mitsamt ihren Gefolgsleuten; ihre Wimpel flatterten im Wind, Kettenpanzer und Speerspitzen schimmerten in der Morgensonne.
Das konnte nur bedeuten, dass wir es gar nicht mit Walisern, sondern mit den Engländern zu tun hatten, die unter Eadrics Banner zu den Waffen gegriffen hatten.
Ihre Schilde prallten oberhalb der Mauer hart gegen unsere eigenen. Eisen traf krachend auf Lindenholz, Schildbuckel gegen Schildbuckel, Klinge gegen Klinge, Speer gegen Speer. Ich hatte die Füße gegen den Boden gestemmt, damit ich die Stöße besser abfedern konnte. Trotzdem ging mir der nächste Aufprall durch Mark und Bein, und ich musste einen halben Schritt zurückweichen. Der Mann, der mir gegenüberstand, war ein Hüne: gewiss über sechs Fuß groß und damit fast einen ganzen Kopf größer als ich selbst. Er sah mich blutrünstig an und wollte mir wortlos den Speer in den Unterleib rammen. Doch ich wusste sofort, was er vorhatte, lenkte seinen Spieß mit meinem Schild außen gegen die Mauer und rammte ihm dann den Schild unter das Kinn. Der Riese wich wankend einen Schritt zurück, sein Kiefer blutüberströmt, und ich stieß ihm das Schwert in den Unterleib, direkt in die Eingeweide, riss es dann nach oben und zog es wieder heraus. Er kippte wie eine gewaltige Eiche im Sturm einfach nach hinten weg und hätte noch fast einige seiner Kameraden mit sich gerissen, bevor er auf dem Boden aufschlug.
Der erschlaffte Körper des Mannes war mit Blut und Kot bespritzt; ringsum hing ein entsetzlicher Gestank in der Luft, der Gestank frisch aufgeschlitzter Gedärme, so heftig, dass er fast zu schmecken war. Mir wurde speiübel, doch ich riss mich zusammen. Ich war mir der anderen Männer ringsum zwar dunkel bewusst – des Lärms und der Schreie und der fallenden Körper. Doch sonst kreiste meine Wahrnehmung nur um mich selbst, meinen Speer, meinen Schild, den jeweils nächsten Engländer, der mir gerade vor das Visier kam. So durchlebte ich jenen Augenblick, den die Dichter und Troubadoure so oft in ihren Liedern besangen, jenen Augenblick mitten im Kampf, da sich unversehens eine seltsame Ruhe einstellt. Es stimmte. Diese Ruhe ergriff jetzt von mir Besitz. Das Blut pulsierte durch meine Adern, pumpte frische Kraft in meine Glieder. Ich schaltete mein Denken einfach aus, verlor mich im Tanz der Klingen, im Scheppern der Schilde, dem Rhythmus von Stoß, Parade und Gegenstoß. Sämtliche Bewegungen waren mir durch Jahre der Übung in Fleisch und Blut übergegangen, keine bedurfte mehr einer bewussten Entscheidung – bis die Engländer sich plötzlich zurückzogen.
Von Blutgier getrieben und ungeachtet der Warnungen ihrer Lehnsherren und Kameraden, setzten ihnen ein paar von unseren Leuten nach, lösten sich aus der Formation, kletterten über die Mauer und verfolgten die Feinde, teils allein, teils zu zweit, zu dritt oder zu viert. Dann metzelten sie all jene nieder, die humpelten oder verletzt waren
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