Die Ritter des Nordens
Mann ohne Kampfausbildung hatte er sich sehr beachtlich geschlagen, und ich hatte sofort erkannt, dass dieser Jüngling nicht nur ein aufbrausendes Temperament, sondern auch ein tapferes Herz hatte.
Ob aus Mitleid oder weil er mich daran erinnerte, wie ich selbst in seinem Alter gewesen war, jedenfalls nahm ich ihn mit. Unter Edelleuten war es damals ein Gemeinplatz, dass ein Junge, der nicht spätestens mit zwölf Jahren die Grundregeln des Reitens, des Schwert- und des Speerkampfs beherrschte, nur noch Priester werden konnte. Aber auch ich selbst hatte schon in meinem vierzehnten Sommer gestanden, als ich mich für den Weg des Kriegers entschieden hatte, und ich hatte trotzdem einiges erreicht. Turold wiederum schätzte sein eigenes Alter auf siebzehn, wenngleich er es selbst nicht so genau wusste. Außerdem war er robuster, als ich es damals gewesen war, und verstand schon eine ganze Menge von Pferden. Tatsächlich konnte er besser reiten als viele Männer, die doppelt so alt waren wie er. Da er unbedingt lernen und einen guten Eindruck machen wollte, verbrachte er jeden Tag viele Stunden auf dem Übungsplatz, wo er sich die Techniken des Schwert- und des Speerkampfs aneignete. Und schon wenige Monate später konnte er seine neu erworbenen Fertigkeiten gegen die walisischen Räuberbanden einsetzen, die immer wieder über den Grenzwall zu uns kamen.
Das alles schien inzwischen schon so lange her zu sein. Dabei hatte ich Turold in Wahrheit kaum länger als ein Jahr gekannt, auch wenn ich das kaum glauben konnte, weil mir die Zeit viel länger vorkam. Doch während sich Pons und Serlo Turolds Tod sehr zu Herzen nahmen, konnte ich selbst gar nichts empfinden und war wie betäubt.
Einige Stunden später gönnten wir unseren Truppen eine Pause. Soweit sich feststellen ließ, waren uns keine feindlichen Kundschafter auf den Fersen; und so konnten wir uns ein wenig ausruhen und uns Gedanken über unser weiteres Vorgehen machen. Wir befanden uns immer noch in einer flachen, vor allem bäuerlich genutzten Gegend, die wenig Schutz bot. Trotzdem war uns keine andere Wahl geblieben, als hier haltzumachen, da so viele unserer Leute vor Erschöpfung zusammenbrachen. Je früher wir weiterziehen konnten, umso besser.
Während unserer Rast stattete ich dem schwarz-goldenen Banner einen Besuch ab. Lord Robert und die Mehrzahl seiner Ritter hatten die Schlacht lebend überstanden. Die meisten von ihnen hatten lediglich ein paar Schnittwunden und Abschürfungen davongetragen oder ein paar Zähne verloren. Trotzdem waren sie jetzt längst nicht mehr so viele wie noch vor gut einer Woche, als ich sie zuletzt in Scrobbesburh gesehen hatte.
Etliche der Männer blickten mir abweisend entgegen oder spien sogar aus, als ich näher kam.
»Ihr«, sagte einer, der sich mir in den Weg stellte. Der breitschultrige Mann war Ansculf, der Anführer von Roberts Hausgefolge. »Was habt Ihr hier zu suchen, Tancred?«
Ich war dem Mann schon öfter begegnet, das erste Mal ungefähr ein Jahr zuvor. Schon damals hatte ich ihn nicht besonders gemocht – eine Abneigung, die sich seither nur verstärkt hatte. Wie immer roch er nach Viehdung, und wie stets war mir auch jetzt wieder rätselhaft, warum. Er war ein paar Jahre älter als ich und konnte mich so wenig leiden wie Eudo und Wace, weil wir alle drei nach Eoferwic in den Herrenstand aufgestiegen waren. Er selbst besaß dagegen immer noch kein Land und somit auch nicht die damit verbundenen Privilegien. Das alles wusste ich, weil er sich mir gegenüber schon häufiger darüber beklagt hatte.
»Ich möchte Robert sprechen«, sagte ich. »Lasst mich durch.«
»Ihr seid hier nicht willkommen. Dass Urse, Adso, Tecelin und die anderen tot sind, ist allein Eure Schuld.«
Angesichts seines Tonfalls musste ich mich zurückhalten. Von den drei Namen, die er genannt hatte, war mir nur der erste bekannt, und selbst in dem Fall musste ich mich anstrengen, um mir das feiste Schweinegesicht von Urse zu vergegenwärtigen.
»Meine Schuld? Was soll das heißen?«
»Lasst ihn in Ruhe, Ansculf«, rief Lord Robert, der des Weges kam, schon von Weitem. Seine Wangen waren eingefallen, und er sah mich aus müden Augen an. »Ich möchte selbst mit ihm sprechen.«
Aber so schnell gab Ansculf nicht klein bei. »Mylord, dieser Mann …«
»Genug«, sagte Robert scharf. »Tancred, kommt mit.«
Wir entfernten uns so weit von den Rittern, dass sie unserem Gespräch nicht mehr folgen konnten. Trotzdem warfen sie mir
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