Die Ritter des Nordens
nie richtig gekannt hatte. Beide – Mutter wie Vater – waren schon gestorben, als ich noch ganz klein gewesen war. Trotzdem rührte mich der Anblick der Familien ringsum.
Als wir nun durch die Menge ritten, hielten uns Männer an den Ärmeln und Umhängen fest. Andere knieten im Schmutz vor uns nieder, um uns ihren Dank zu bekunden, bis sich schließlich so viele um uns drängten, die uns die Hand drücken wollten, dass mein Pferd kaum noch von der Stelle kam und ich absteigen musste, um das Tier am Zügel zu führen.
» Hlaford Tancred!«, rief Ædda und hob die Faust zum Himmel. Die übrigen Männer stimmten in seinen Ruf mit ein, und kurz darauf riefen alle im Chor: » Hlaford Tancred!«
Dann sah ich inmitten der Menge Leofrun. Ihr offenes, kastanienbraunes Haar fiel ihr auf die Schultern, wie ich es am liebsten mochte, und schimmerte in der Abendsonne. Sie lächelte sanft und hatte Freudentränen in den Augen. So kam sie mir strahlend entgegen, und ich überließ die Zügel meines Pferdes einem Stallburschen und schloss sie fest in die Arme.
»Du warst so lange weg«, sagte sie auf Französisch. »Ich hatte schon Angst …« Sie hielt inne. »Ach, bin ich froh, dass du wieder da bist.«
»Ich auch«, sagte ich grinsend.
Ihre Wangen waren gerötet. Ihr Bauch war noch größer, als ich ihn in Erinnerung hatte, obwohl wir bloß zwei Tage weg gewesen waren. Ihre Schwangerschaft war schon weit fortgeschritten, und es konnte bis zur Entbindung nicht mehr lange dauern, vielleicht ein, zwei Monate. Sie war schon genauso aufgeregt wie ich. Obwohl sie mehr für mich empfand als ich für sie, war ich ziemlich glücklich mit ihr und wollte sie nicht verlieren. Leofrun war eine starke Frau – körperlich, aber auch charakterlich. Ihre breiten Hüften ließen auf eine leichte Geburt hoffen. Dennoch war mir nicht ganz wohl zumute.
Ich legte ihr die eine Hand auf den Bauch, während ich ihr mit der anderen eine Träne von der Wange wischte. Dann küsste ich sie.
»Die Männer, die vor ein paar Tagen hier waren«, sagte sie. »Sind die jetzt …?«
»Ja.«
»Alle?«
»Ja, alle.«
Sie nickte nachdenklich, schloss dann die Augen und umschlang mich mit beiden Armen. »Ich bin ja so froh, dass du wieder da bist.«
Zuerst bestatteten wir die drei Menschen, die die Waliser bei ihrem Überfall getötet hatten: einen Vater und seine beiden Söhne. Wir legten sie an der derselben Stelle in die Erde, wo schon die Frau des Mannes und Mutter der beiden Söhne begraben lag, die im vergangenen Herbst an den Pocken gestorben war. Unser Priester, der Father Erchembald hieß, vollzog im Beisein der Dorfbewohner das Bestattungsritual. Dann kam er auf Lyfings tragisches Schicksal zu sprechen und gab sich aufrichtig Mühe, dem Müller Nothmund und dessen Frau Gode sowie Hild ein wenig Trost zu spenden. Doch zurückgeben konnte er ihnen den Jungen nicht.
Obwohl es allen Grund gab, der Menschen zu gedenken, die in den vergangenen Tagen den Tod gefunden hatten, waren im Dorf auch viele Leute einfach nur glücklich über unsere Rückkehr und wollten diese feiern. Sie zündeten, als es dunkel wurde, am Ufer des Flusses ein großes Feuer an, um das sich alle versammelten. Ich ließ aus dem Gutshaus gepökeltes Rindfleisch herbeischaffen und Platten mit geräuchertem Fisch, Käselaibe und frisch gebackenes Brot, dazu noch Gefäße mit Honig aus meinen Bienenstöcken, Krüge mit Ale und Met, Fässer mit normannischem Cidre und burgundischem Wein. Dies alles wurde neben der Feuerstelle auf einem langen Tisch bereitgestellt. Dann feierten wir unseren hart errungenen Sieg, und die Luft war bald von ausgelassenem Gelächter erfüllt.
Die Kinder rannten um das Feuer, balgten auf dem Boden herum, spielten in der Furt und bespritzten sich gegenseitig mit Wasser, bis sie völlig duchnässt waren. Bald schon hallten fröhliche Lieder durch das Tal, und die Männer tanzten mit ihren Frauen. Für Musik sorgte der alte Schweinehirt Garwulf, der auf einer Leier, der crwth, alte Weisen spielte, die er noch von seinem walisischen Vater gelernt hatte. Seine Finger glitten behände über die Saiten, während er mit einem Fuß den Rhythmus stampfte. Schon bald schloss sich ihm ein anderer Mann an und begleitete ihn mit sanften Weisen auf der Holzflöte; schließlich brachte jemand eine Trommel und fing an, den Takt zu schlagen. Die Musik erfüllte das ganze Tal, und ich führte die lächelnde Leofrun zwischen den beiden Reihen der Tanzenden hindurch, die
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