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Die Ritter des Nordens

Die Ritter des Nordens

Titel: Die Ritter des Nordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Aitcheson
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mit ihren erhobenen Armen über uns einen Bogen bildeten. Dabei blickte ich ihr unentwegt tief in die graublauen Augen und dachte, dass ich eine mir so treu ergebene, eine so warmherzige Frau gar nicht verdient hatte.
    Das Ale floss in Strömen, und die Stimmung wurde immer ausgelassener. Trotzdem musste ich immer wieder an die armen Menschen denken, die jetzt nicht hier sein konnten: den Müller und seine Frau, ganz zu schweigen von den Männern, die durch die Hand der Waliser gefallen waren. Als das Treiben ringsum immer munterer wurde und die Männer schließlich anfingen, auch andere als ihre eigenen Frauen zum Tanz aufzufordern, schlich ich mich davon und ließ mich außer Sichtweite ein Stück unterhalb der Palisaden im Gras nieder. So saß ich lange da und trank gelegentlich einen Schluck Ale aus dem Krug, den ich mitgenommen hatte. Dabei beobachtete ich das prasselnde Feuer und die Flammen, die hoch in den dunklen Nachthimmel hinaufschossen. Irgendwann warfen zwei der Feldarbeiter – Odgar und Rædwulf – einen schweren Holzscheit so schwungvoll in das Feuer, dass die Funken stoben und dunkle Rauchwolken in den Nachthimmel aufstiegen.
    Ich fühlte mich immer noch irgendwie für Lyfings Tod verantwortlich. Ständig sah ich seinen leblosen, blutigen Körper und das Mädchen wieder vor mir, das mich verzweifelt anblickte. Er war nun mal kein Krieger gewesen, sondern bloß ein Gehilfe in einer Mühle. Trotzdem hatte er, ohne zu zögern, nach der Waffe gegriffen und war mit mir in den Kampf gezogen, hatte Kopf und Kragen für mich riskiert, für seine Eltern und für sein Mädchen. Er hatte sich freiwillig gemeldet, hatte sich aus Loyalität und Liebe dazu entschlossen zu kämpfen, und dabei alles verloren.
    Es lag nun schon mehr als zehn Jahre zurück, dass ich mich für den Weg des Schwertes entschieden und erstmals einem Gefolgsherrn Treue geschworen hatte. Jahre, in denen ich zahllose Kameraden hatte fallen sehen. In vielen Fällen konnte ich mich nicht einmal mehr an das Gesicht oder den Namen erinnern, doch genauso oft hatte ich enge Freunde verloren. Zu behaupten, dass mir ihr Tod nicht nahegegangen war, wäre eine Lüge gewesen. Lyfing dagegen hatte ich kaum gekannt, obwohl er auf meinem Gut gelebt und gearbeitet hatte. Deshalb war es meine Pflicht gewesen, ihn zu schützen. Vielleicht ging mir sein Tod auch deshalb so nahe, weil ich versagt hatte: nicht nur ihm selbst, sondern auch seiner Familie und Hild gegenüber, im Grunde genommen sogar gegenüber ganz Earnford.
    »Es ist nicht gut, wenn Ihr so viel Zeit allein verbringt, Mylord.«
    Ich fuhr erschrocken zusammen. Als ich mich umdrehte, sah ich Father Erchembald. Der etwas kurz geratene, wohlgenährte Priester war normannischer Herkunft und hatte ein für sein Alter und seine Lebenserfahrung immer noch jugendliches Gesicht. Nach den Geschehnissen des vergangenen Jahres und dem Zusammenstoß mit Kaplan Ælfwold brachte ich der Geistlichkeit immer noch gewisse Vorbehalte entgegen. Doch für diesen stets gutgelaunten Mann hegte ich aufrichtige Sympathie.
    »Aber ich bin doch gar nicht allein«, entgegnete ich. Obwohl der Krug neben mir schon fast leer war, bot ich dem Priester einen Schluck daraus an.
    Doch der winkte ab und ließ sich im Schneidersitz neben mir im Gras nieder. Ich zuckte mit den Achseln und leerte den Krug, während er mich halb besorgt, halb missbilligend von der Seite ansah.
    »Was gibt es denn?«, fragte ich.
    »Euer Platz ist dort drüben am Feuer – bei den anderen«, sagte er. »Und bei Leofrun.«
    Ich wusste nicht recht, was ich darauf antworten sollte, also schwieg ich. Er gab einen Stoßseufzer von sich und versuchte es aufs Neue: »Dass Earnford heute Abend feiert, statt zu trauern, haben die Leute Euch zu verdanken.«
    Drüben am Feuer nahmen jetzt ein paar Dorfmädchen vor Turold, Pons und Serlo Aufstellung, fassten die drei bei den Händen und zogen sie in den Kreis der Tanzenden, während ein neues Lied angestimmt wurde. Franzosen und Engländer, die zusammen feierten: Ich hatte nicht gedacht, dass ich das noch erleben würde. Möglich, dass die Rebellen oben im Norden gerade in diesem Augenblick ein Bündnis schlossen, um uns gemeinsam anzugreifen. Als ich die Männer drüben am Feuer jetzt zusammen trinken, singen und tanzen sah, konnte ich mir nicht vorstellen, dass es unter ihnen welche gab, die unter Eadgars Banner gegen uns zu den Waffen greifen würden. Im Grunde genommen wollten diese Leute doch bloß ihre Tiere

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