Die Ritter des Nordens
versorgen, ihre Felder pflügen, die Saat ausbringen und ihre Familien einigermaßen durchbringen. Auf das Königreich gaben sie keinen Pfifferling. Was interessierte es sie schon, ob ein Ausländer die Krone trug oder ein Angehöriger ihres eigenen Volkes? Solange ein Grundherr über ihnen stand, der sie vor den mordenden und plündernden Walisern schützte, hatten sie doch alles, was sie brauchten.
Nur dass ich sie in den vergangenen Tagen eben nicht beschützt hatte und dass völlig unnötigerweise vier Männer ums Leben gekommen waren.
»Gestern hat durch meine Schuld ein junger Mann das Leben verloren.« Ich mied den Blick des Priesters und starrte zu Boden. »Ich hätte ihn unbedingt aufhalten müssen. Doch ich habe nur an meinen eigenen Ruhm gedacht.«
»Jeder von uns trifft Entscheidungen«, sagte Father Erchembald, »und Lyfing hat sich selbst für den Kampf entschieden. Er kannte das Risiko, und ich bin sicher, dass Ihr alles getan habt, was Ihr für ihn tun konntet. Ihr seid nicht für seinen Tod verantwortlich.«
Ich starrte in die Flammen, dachte an das Feuer, das in jener Winternacht in Dunholm in der Stadt, in der Festung und auch in der Met-Halle gewütet hatte. Auch für das, was dort geschehen war, hatte ich mich lange verantwortlich gefühlt. Doch dann hatte ich mir irgendwann geschworen, den Mann zu töten, der an den damaligen Ereignissen wirklich die Schuld getragen hatte. Lyfings Mörder dagegen war bereits tot, hatte seinen Blutzoll schon entrichtet, obwohl mich das auch nicht glücklicher machte.
»Die Frauen dort drüben wären ohne Euch jetzt nicht hier«, sagte der Priester und zeigte auf einige Gestalten, die unten am Fluss tanzten. »Was Ihr getan habt, war gut, Tancred, das dürft Ihr nicht vergessen. Die Leute dort drüben stehen in Eurer Schuld und möchten Euch ihren Dank bekunden. Allerdings müsst Ihr ihnen dazu auch die Gelegenheit geben.«
»Ja, vielleicht.«
»Das ist nur zu Eurem eigenen Besten«, sagte Erchembald. »Mitunter passiert es, dass ein Mann so viel Zeit in seinem eigenen Kopf verbringt, dass er die Welt ringsum vergisst – die wirklich wichtigen Dinge.«
»Was wollt Ihr damit sagen, Father?«
»Ich weiß, dass Ihr immer noch auf Rache sinnt. Ihr verzehrt Euch danach, noch einmal mit Euren alten Kameraden in die Schlacht zu reiten und den Mann zu jagen, der Euren früheren Herrn ermordet hat.«
Der Priester kannte mich inzwischen so gut, dass alles Leugnen sinnlos gewesen wäre. Also schwieg ich.
»Ich kann Euch diesen Wunsch nicht zum Vorwurf machen«, fuhr er fort, »aber Euer Platz ist hier, und Ihr solltet nicht vergessen, dass es hier in Earnford Männer gibt, die Euch treu ergeben sind, Menschen, die Euch achten. Außerdem habt Ihr eine Frau, die Euch liebt, und demnächst sogar ein Kind.«
Was er soeben über Leofrun gesagt hatte, überraschte mich. Denn eigentlich hatte Erchembald sie nie besonders leiden können. Vielleicht weil sie ein uneheliches Kind von mir erwartete, was die Kirche nicht gerne sah, obwohl es immer wieder vorkam.
»Das ist mir aber nicht genug«, sagte ich, und erst als die Worte schon heraus waren, wurde mir schlagartig klar, wie selbstsüchtig sie klangen.
Falls ihn meine Worte schockiert hatten, ließ der Priester sich davon nichts anmerken. »Wer von uns ist denn schon ganz mit dem zufrieden, was er hat?«, fragte er leise. »Verschwendet nicht so viele Gedanken auf die Vergangenheit oder auf die Zukunft, denn wir können weder das eine noch das andere beeinflussen. Seid vielmehr dankbar für das, womit die Gegenwart Euch beschenkt. Erst wenn Euch das gelingt, werdet Ihr wahre Zufriedenheit finden, das weiß ich genau.«
Ich nickte, obwohl ich immer noch nicht restlos überzeugt war.
Dann stand Father Erchembald auf und ging wortlos davon. Ich beobachtete, wie er unten am Fuß des Hangs die Holzbrücke betrat und über den Fluss ging, bis er das Feuer erreichte, wo er wie Serlo, Pons und Turold von den Tanzenden umringt und von den jubelnden Frauen zum Mitmachen genötigt wurde.
Ich blieb noch eine Weile im Gras sitzen, dachte darüber nach, was er gesagt hatte, und sah am Ende ein, dass er wie stets auch diesmal wieder recht hatte. Ein Eingeständnis, das mir nicht ganz leichtfiel. Ich war damals noch ein richtiger Dickkopf – wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt hatte, war ich davon nicht so leicht wieder abzubringen. Das können alle bestätigen, die mich damals näher gekannt haben. Doch in Wahrheit hatte ich
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