Die Ritter des Nordens
verbliebenes Haupthaar war mit geronnenem Blut getränkt und klebte in einer tiefen Wunde an ihrem Schädel.
Keiner dieser Menschen hatte ein solches Ende verdient. Dies alles hätte nicht passieren dürfen.
Wo vorher Weizenfelder gestanden hatten, war nur verbrannte Erde geblieben, die ganze Ernte war vernichtet. Ringsum auf den Wiesen und Weiden lagen die Kadaver erschlagener Tiere: Kühe, Schafe, Ziegen. Wer auch immer dieses Werk der Zerstörung angerichtet hatte, war nicht in der Absicht gekommen, etwas mitzunehmen, sondern einzig, um Blut zu vergießen und die Menschen und Tiere, die hier zu mir gehört hatten, wahllos hinzumetzeln. Das war nicht nur ein Überfall gewesen. Es war ein Massaker.
Dann stand ich vor den Ruinen des Hauses, in dem früher einmal der Priester gewohnt hatte. »Father Erchembald!«, brüllte ich. »Ædda!«
Doch ich erhielt keine Antwort. Die Kräuter im Garten des Priesters waren niedergetrampelt, die Gemüsepflanzen aus der Erde gerissen. Bevor die Wüstlinge das Haus in Brand gesetzt hatten, hatten sie das Dach heruntergerissen, denn ringsum lagen Strohbüschel am Boden. Viele Leute versteckten ihr Silber und ihre Wertgegenstände in ihrem Strohdach, und nach solchen Dingen hatten die Plünderer wohl auch hier gesucht. Doch fündig geworden waren sie bei Father Erchembald gewiss nicht. Denn im Gegensatz zu etlichen Priestern, die ich kannte, hatte ihn Besitz nie sonderlich interessiert. Vielmehr hatte er das, was er besaß, stets großzügig mit seinen Schäfchen geteilt. Und jetzt war er anscheinend auch noch gemeinsam mit ihnen untergegangen.
Die Kirche war genauso zerstört wie alle anderen Gebäude in Earnford. Geblieben war nur der nackte Stein; alles andere war entweder verschwunden oder den Flammen zum Opfer gefallen: die Wandbehänge, die im Winter Schutz vor der kalten Luft boten, ebenso das bestickte Altartuch. Nicht nur das vergoldete Kreuz war weg, sondern auch die Kerzenleuchter und die mit schönen Gravuren und Darstellungen wilder Tiere verzierte Pyxis, in der Erchembald die geweihten Hostien verwahrt hatte; der ganze Altar war vollständig abgeräumt.
Hier hatten nicht etwa Menschen gewütet, sondern gottlose Bestien, die Kinder des Satans selbst, die geradewegs dem stinkenden Pfuhl der Hölle entstiegen waren, um dieses Stück Land in einen Alptraum zu verwandeln.
Was ich sah, war mehr, als ich ertragen konnte. Als ich die Anhöhe erreichte, auf der einst meine Halle gestanden hatte, waren meine Tränen längst versiegt. Wie betäubt setzte ich einen Fuß vor den anderen und ging zu der Stelle hinauf, wo früher einmal in den Palisaden das Tor gewesen war. Ein widerlich beißender Geruch empfing mich: ein Gestank, den ich nur zu gut kannte und der mir den Magen umdrehte: Es roch nach verbranntem Fleisch. Im Hof ging leise gackernd ein einsames Huhn umher, das auf der Suche nach ein paar Körnern auf dem Boden herumpickte. Niemand mehr würde es füttern. Als ich näher kam, sah ich, dass aus den verkohlten Überresten des Gebäudes, fast nicht sichtbar, noch zarte Rauchschwaden aufstiegen. Der Überfall konnte also noch nicht lange her sein. Wäre ich nur nicht so lange krank gewesen, und hätte ich mich unterwegs nur nicht so oft verlaufen, vielleicht wäre ich dann noch rechtzeitig in Earnford eingetroffen, um meine Schutzbefohlenen zu verteidigen. Selbst ein frühes Ende in einem aussichtslosen Kampf wäre mir unendlich viel lieber gewesen als der entsetzliche Anblick, der sich mir hier bot.
Verwüstete Adelssitze hatte ich auch schon vorher gesehen. Aber wenn es sich dabei um das eigene Zuhause handelt, sieht plötzlich alles ganz anders aus. Ich mochte gar nicht daran denken, wie die Flammen oben aus dem Dach geschlagen, wie die Menschen in Panik geraten waren, als der brennende Dachstuhl eingestürzt war. Ich versuchte, mir nicht den Geruch von versengtem Haar und brennendem Fleisch vorzustellen, nicht die Hitze und das Chaos, das ausgebrochen war, als dichter Rauch in die Räume eingedrungen war, als es kein Entrinnen mehr gegeben hatte und die Menschen nur noch die Wahl gehabt hatten, entweder zu ersticken oder aber ins Freie zu rennen – geradewegs in die Klingen der Feinde. Mit Feuer und Schwert, ja, so ging man auf dieser Insel gegen Feinde vor. So hatte nicht nur mein erster Lehnsherr den Tod gefunden, sondern auch viele andere, die ich einst gekannt hatte.
Doch ich hatte solche Dinge schon so oft gesehen, dass ich die Bilder nicht ganz aus
Weitere Kostenlose Bücher