Die Ritter des Nordens
unendlich leid, Tancred.« Obwohl er sehr mitfühlend sprach, klangen seine Worte in meinen Ohren hohl. »Jedem der hier Anwesenden.«
»Nein«, sagte ich und schüttelte den Kopf, weil ich nicht hören wollte, was er mir zu sagen hatte. »Ihr lügt. Das ist nicht wahr. Das darf einfach nicht …«
Dann verstummte ich, weil ich nicht wusste, was ich sonst noch sagen sollte. Meine Gedanken überschlugen sich. Nein, das durfte nicht wahr sein. Ich war doch gar nicht so lange weg gewesen. Zuerst Oswynn und jetzt, nicht einmal ein Jahr später, auch noch Leofrun; zwei Menschen, die mir so viel bedeutet hatten und weit vor ihrer Zeit gestorben waren, und das alles meinetwegen.
»Sie ist jetzt bei Gott«, sagte der Priester und legte mir tröstend die Hand auf den Arm. »Ihre Seele hat ihren Frieden gefunden.«
Leofrun war für mich das Kostbarste auf der Welt, kostbarer als alle glitzernden Rubine, alle Silber-Pennys, alle blitzenden Schwerter, alle Streitrösser. Kostbarer als alle Ländereien, alle Macht, alles Ansehen. Alles, was ich besaß, hätte ich dafür gegeben, sie noch einmal, nur ein einziges Mal, in die Arme zu schließen. Der Gedanke, dass ich ihr schönes Gesicht nie mehr sehen, nie mehr in ihre graublauen Augen blicken, sie nie mehr küssen, nie mehr über ihr kastanienbraunes Haar streichen würde, war mehr, als ich ertragen konnte.
»Das haben Bleddyns Männer getan, nicht wahr?«, sagte ich und ballte die Fäuste. »Sie haben sie getötet.«
Erchembald sah Ædda an, und der sagte leise: »Die Waliser haben zwar Earnford zerstört, Mylord, aber Leofrun haben sie nicht umgebracht.«
Ich sah ihn verständnislos an. »Wer dann?«
»Das ist schon viel früher passiert: ein paar Wochen, nachdem Ihr damals mit Lord Robert weggeritten seid«, sagte Erchembald seufzend. »Das Kind ist zu früh gekommen – mitten in der Nacht. Ich bin sofort zu ihr in die Halle geeilt und habe noch alles versucht, was in meiner Macht stand. Aber sie hatte schon zu viel Blut verloren. Wenig später ist sie dann mit Eurem Sohn in den Armen verstorben.«
Meinem Sohn. Ich traute mich kaum auszusprechen, was ich dachte, aus Angst, dass auch diese Hoffnung sich sogleich wieder als Illusion erweisen würde. Trotzdem musste ich es unbedingt wissen.
»Und was ist mit ihm?«, fragte ich leise. »Hat er überlebt?«
Der Priester schüttelte den Kopf. »Er war noch zu klein und zu schwach. Er hat gerade so lange gelebt, dass ich ihn noch taufen konnte, dann ist seine Seele wieder aus dieser Welt gegangen. Wir haben ihn gemeinsam mit seiner Mutter auf dem Friedhof begraben.«
»Und auf welchen Namen habt Ihr ihn getauft?«
»Leofrun hat den Namen ausgewählt. Sie hat ihn Baderon genannt.«
»Baderon«, wiederholte ich und brachte kaum mehr als ein Flüstern zustande. »Nach meinem Vater.«
Sie hätte sich ebenso gut für einen englischen Namen entscheiden können, einen Namen, der ihr selbst etwas bedeutete, ihr vielleicht in der Stunde des Todes sogar ein wenig Trost gespendet hätte. Doch sie hatte nur an meine Wünsche gedacht, und das sogar noch in ihrer letzten Stunde.
Ich hatte nie in meinem ganzen Leben eine liebevollere, feinere Frau kennengelernt. Und jetzt war sie dort, wo auch Turold, Byrhtwald, Snocca, Cnebba, Garwulf und Hild und all die anderen weilten.
Leofrun war nicht mehr da, und ohne sie war ich völlig verloren.
Nun geriet ich in einen Zustand völliger Umnachtung, in eine Verzweiflung, in die kein Lichtstrahl mehr eindrang, kein Hoffnungsschimmer. Ich wusste nicht mehr ein noch aus und hoffte, obwohl ich es selbst nicht glauben konnte, dass ich am Ende dennoch einen Ausweg finden würde. Das Gefühl der Einsamkeit, das mich umfangen hielt, war sogar noch stärker als in dem Verlies in Mathrafal, wo ich in meinen eigenen Exkrementen gelegen hatte. Und niemand, nicht einmal der Priester oder Ædda, konnte mich aus dieser Hölle befreien.
Ich hatte Leofrun damals in Earnford gelassen, sie nicht mit nach Scrobbesburh genommen, um ihr das Schicksal zu ersparen, das Oswynn ereilt hatte. Und das war mir sogar gelungen. Doch dann war ihr etwas widerfahren, was ich auch nicht hätte verhindern können, wenn ich bei ihr gewesen wäre. Es gab niemanden, dem ich ihren Tod hätte anlasten können, den ich bis ans Ende der Welt hätte verfolgen können, um sie zu rächen. Leofruns Tod war Gottes Wille gewesen, wie mich Father Erchembald ermahnte, oder in der Sprache der Dorfbewohner: wyrd – Schicksal. Und
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